Dienstag, 21. April 2009

Sonnenlicht ...

Statusbericht.
Und es grunelt und es grünet.
Kehre aus den tiefen häuslicher Wände zurück in eine ungewohnt gewordene Welt. Habe den Frühling fast verschrieben an meiner Magisterarbeit über Goethes Divan. Habe nun vollstes Verständnis für winterschlafende Tiere. War überrascht über die grelle Wärme, hatte irrigerweise eine dicke Jacke an. Kann Koffein und Nudeln nicht mehr sehen. War ein Erdenkloß. Nehme mich selbst kaum noch wahr, meide festlegende Pronomen in Sätzen. Habe eine Abneigung gegen Bildschirme entwickelt. Mag Goethe sogar immer noch. Kluger Kerl. Brauche drinend Sport, am besten Schwertkampftraining fürs Körpergefühl. Habe sicherlich tausend Dinge vergessen die letzten Wochen. Natur gehört dazu. Muss das nachholen. Duftet bereits wie von alters. Heiße mich selbst wilkommen zurück. Das Leben schweigt ja für gewöhnlich.

Dienstag, 17. März 2009

Schlecht kopiert ist halb verloren ...

Vorweg: Coverversionen an sich sind logische Entwicklungen moderner Kopierbarkeit und haben nicht zufällig ihre Blüte mit Aufkommen des computerunterstützten Samplings zu Beginn der 1990er. Auch finden sich in der modernen Musik zahllose Beispiele von Neuinterpretationen, die ihre Vorbilder in Qualität und Popularität übertrafen; so etwa Janis Joplins "Me and Bobby McGee" (orig. Kris Kristofferson) oder das großartige "Hurt" von Johnny Cash (orig. Nine Inch Nails). Denen gegenüber steht jedoch eine Masse schnell produzierter Covermusik, die allein auf den Wiedererkennungswert eingängiger Melodien setzt.
Nachdem ich irrigerweise glaubte (wohl eher hoffte), der Trend habe nachgelassen, wurde ich jüngst, bei einem Ausflug in die Popmusikcharts, eines Besseren belehrt. Zwei Gegenbeweise fielen mir besonders auf: "Eisblumen" von Eisblume (sehr einfallsreich!, orig. Subway to Sally) und "Unforgiven" von Stefanie Heinzmann (orig. Metallica). Die durchaus bekannten, 'härteren' Vorbilder aus dem Goth-Rock bzw. Heavy Metal Bereich wurden um 'unbequeme' Instrumente wie E-Gitarren gekürzt und vor charakterlosen Popbeats von klaren Mädchenstimmen vorgetragen. Die aggressive Werbung über soziale Netzwerke (Facebook etc.), Fernsehwerbung und Talentshows ergänzt das Bild der dahinterstehenden, wohlkalulierenden Musikindustrie. Die Auswahl der Originale und die Gestaltung der Videopräsentation zeugt von zunehmender Popularisierung ehemaliger Randgruppen wie z.B. Emo oder Gothic. Allerdings verlieren die Songs gerade durch den Zuschnitt auf Massenwirksamkeit ihren rauen Charme. Insbesondere die unveränderten kritisch-düsteren Texte wirken vor dahindümpelndem, heiteren Popsound entschärft und inhaltsleer: "throughout his life the same / he's battled constantly / this fight he cannot win / a tired man they see no longer cares / the old man then prepares / to die regretfully / that old man here is me." Gekauft wird freilich trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen; wenn immerhin noch der Text soviel mehr ist als der chartstürmende Einheitsbrei voll trennungsschmerzgefüllten Belanglosigkeiten. Trotz aller Verfremdung ist die Größe der Originale durch den Text erahnbar. Es bleibt zu hoffen, dass einige Hörer zu eben jenen zurückfinden werden.

Samstag, 14. März 2009

Counterstrike ist kein Cervantes!

In Nachwirkung des Amoklaufes von Winnenden kursieren im Internet zahlreiche Erklärungsversuche. Auch sogenannte "Killerspiele" stehen erneut auf der Anklagebank. Und wieder finden sich in Talkshows und Interviews die altbekannten gegensätzlichen Positionen: das bildungsbürgerliche Unverständnis über das Medium "Videospiel" und der intuitive Protest von Konsumenten, die sich einer verallgemeinernden Vorverurteilung ausgesetzt sehen. Doch, wenn Militärs virtuelle Simulationen zum Training wirklicher Kampfeinsätze verwenden, muss man zumindest von der 'Einübung von Szenarien und Bewegungsabläufen' sprechen. Der Trend zum digitalen Fotorealismus lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit weiter verschwimmen. Nicht abzustreiten ist das hohe Maß an Gewalt, das in modernen Videospielen affirmiert wird.
Don Alphonso stellt in seinem Faz-Blog "Stützen der Gesellschaft" im Beitrag "Rilke, Voltaire und Amok" (12. März 2009) Videospielen ein anderes Medium, das des Buches gegenüber. Auch dort sind Schock und Skandal alte Bekannte, denkt man an Baudelaires "Les Fleurs du Mal", Gottfried Benns Gedichte oder Elfriede Jelineks "Lust". Doch während die Literatur auf eine Jahrtausend alte Tradition zurückblickt, sind Videospiele kaum ihren Anfängen erwachsen. Selbst, wenn der digitalen Präsentation eines "BioSchock" oder "World of Warcraft" eine gewisse Ästhetik zumessen werden kann, bleiben sie ganz im Unterhaltungswert verhaftet. Hat das Medium also sein Potential nur noch nicht entdeckt? Schränkt die Verpflichtung zur Interaktivität die Möglichkeiten künstlerischer Komposition zu sehr ein? Die Lösung ist einfacher und lässt den Vergleich hinken: Letztendlich sind Videospiele allein der kommerziellen Ausrichtung einer schnelllebigen Industrie unterworfen. Dass dabei der Kundengeschmack nicht vernachlässigt bleibt, ergibt sich von selbst. Es ist also vielmehr zu überlegen, ob digitale Gewalt nur ventilhafter Ausdruck einer Zeit ist, in der alltägliche Gewalt nur noch durch vereinzelte Extremata - wie Amokläufe - ins Sichtbare des abgestumpften öffentlichen Bewusstseins treten.

Mittwoch, 11. März 2009

Von der Feigheit extremer Gewalt

Eric David Harris aus Littleton und Sebastian B. aus Emsdetten hatten vieles gemeinsam. Sie waren Kleinstädter, Außenseiter, unauffällige Jugendliche des Mittelstandes und mehrfache Mörder. Seit gestern erweitert sich ihr Kreis um Tim K. aus Leutenbach. Wie bereits 1999 und 2002 überbieten sich die Medien in ihren Reaktionen vor allem in Betroffenheitstopoi, Schuldvermutungen und blutigen Details und riskieren dabei bewusst Nachahmungstaten. Dass Tim K. mit einer 8mm Baretta aus dem Besitz seines Vaters schoss, und dieser als Sportschütze 14 weitere davon in der Wohnung deponiert hatte, weiß nun ganz Deutschland. Auch, dass Tim K. einen 41-Jährigen VW-Fahrer dazu zwang ihn über die Bundesstraße 313 Richtung Wendlingen zu fahren, wo er nach einem Verkehrsunfall und einem Zwischenstopp in einer Niederlassung des VW-Autohaus Hahn kurz nach 12 zwei Polizisten anschoss. Wahrscheinlich werden sie alle Bücher darüber schreiben.
Die Opfer sind wahllos: Schüler, Lehrer, Referendare, Passanten, Autohaushändler, Autohauskunden. Der Stempel Amoklauf folgt auf dem Fuße. Tim K.: ein Name wie aus Kafkas Romanen. Doch im Gegensatz zu Josef K. war er kein unschuldiges Opfer eines grausamen sozialen Systems. Weder Videospiele, noch dunkle Kleidung, erduldetes Mobbing, Zugang zu Waffen, Isolierung oder bestimmter Musikgeschmack machen sein Handeln erklärbarer. Allgemeinen Lebensfrust und Außenseitertum gab auch schon vor „Give a Boy a Gun“ von Morton Rhue. Tim K. war kein defektes Zahnrad einer größeren, versagenden Gesellschaftsmaschine, die ihn nur hätte 'finden' und 'reparieren' müssen oder am besten gleich die 'Wartungsbedingungen' richtig einstellen. Nein, Tim K. war ein grausamer Täter, ein Mörder, der es vorzog in einer ausgelebten Gewaltphantasie über 14 Menschen zu ermorden anstatt sich seinen alltäglichen Problemen zu stellen. Das ist unglaublich feige. Wer glaubt aus diesem Leben ausscheiden zu müssen, der kann das auch im Stillen tun. Eine solche Tat zeugt vielmehr von tief verwundetem Narzissmus und dem Geltungswillen einmal wichtig zu sein; und sei es auch nur im Tod anderer. Herostratos zündete 356 v. Chr. den Artemistempel zu Ephesus an um bekannt zu werden. Heute reicht es immerhin für einen knappen Eintrag bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_von_Winnenden .

Donnerstag, 5. März 2009

Eine Verteidigung des Buches gegen seine Neider

Das Buch kann auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte zurückschauen. Seine frühe Vorform ägyptischer Papyrusrollen wurde im antiken Rom durch Mittelheftung verbessert und im 14. Jahrhundert mit dem Wechsel von Papyrus zum Papier und dem gutenbergschen Reproduktionsverfahren perfektioniert. Welchen Lesefreund ergreift nicht eine liebevolle Stimmung, wenn er an die Wiegendrucke des 15. Jahrhunderts denkt, oder an die eigene Initiation in diese wundervolle Nebenwelt des Lesens mit Bilderbüchern und Jugendromanen? In Buchläden, Lesezirkeln und auf Messen finden sich täglich Liebhaber und Interessierte, die das Buch in seinem eleganten Design schätzen und nach seinem unübertroffenen geistigen Nährwert hungern. Und doch hat der Literaturbetrieb aus seinem Gegenstand mehr gemacht als einen Verbund von 49 Seiten. Gérard Genette hat 1987 in seinen "Seuils" all die kleinen Besonderheiten und Beiwerke des Buches beschrieben und auf ihre Wichtigkeit für den Lesevorgang hingewiesen. Es sind Konventionen - kulturelle Codes - die Aufmerksamkeit wecken, richtiges Lesen anleiten und untrennbar zum Gesamteindruck Buch dazugehören, ohne jedoch dessen geniale Schlichtheit zu beeinträchtigen.
Doch der technikabhängige Mensch des 21. Jahrhunderts glaubt seine vielleicht größte Erfindung revolutionieren zu können. Er schafft einen "
E-Book Reader", einen kleinen Kasten ohne jeden Charme und rühmt dessen umfangreiche 'Speicherkapazität', als sei Größe das einzige, was zählt. Doch dessen haptische Eigenschaften enttäuschen. Seine Nachahmung des Seitenumblätterns wirkt wie eine schlechte Raubkopie. 'Elektronische Tinte' soll die Augen schonen, doch sie kann nicht über das Fehlen von echtem Papier hinwegtäuschen, was sich unnachahmlich zwischen Leserfinger schmeichelt. Zeiteffizientes Blättern wird zu zeitintensivem 'Scrollen', geliebte Leseecken und Flecken lässt es erst gar nicht zu und will ich einen Text verleihen, geht gleich die ganze Bibliothek mit. Verschlimmbesserungen, allesamt. Einen Markt wird dieses Produkt trotzdem finden. Auch ich bin im Digitalzeitalter aufgewachsen und mache so einige Fortschrittswirren mit, von Kassette zu CD zu Mp3 zu Flac, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch muss ich zugeben, dass der elektronische Text noch in den Kinderschuhen steckt und eingestehen, dass ja auch dieser Text ein elektronischer ist. Auch mag für reisende Kreative, Autoren und Professoren eine Digitale Bibliothek zum Nachschlagen ganz nützlich sein. Doch abends liegt auf meinem Nachttisch noch das wirkliche Original, und gemeinsam verweigern wir uns dem vermeintlichen Fortschritt ... zumindest in diesem Bereich. Man muss ja nicht alles Digitalisieren. Digitale Zuneigung? Digitales Glück? Digitales Buch? Nein, Danke.

Dienstag, 3. März 2009

Virtuelle Kritik

Das Internet: unendliche soziale weiten. Wir schreiben das Jahr 2009 und ganz Deutschland chattet, bloggt, facebooked und twittert, was die Anglizismen hergeben. Verlockend ist dabei insbesondere der Anschein des letzten Freiraums in der weitgehend anonymen Virtualität und das stumme Versprechen von irgendwie gearteter Wichtigkeit in 'social communities'. Man ist jetzt nicht mehr nur 'Surfer', man ist jetzt 'Profil'! Schließlich will man den Beweis antreten, dass Stanley Milgrams "small world phenomenon" recht behält und jeder jeden um sechs Ecken kennt. So findet sich soziale Bestätigung vor allem in digitalen Nischen wie Fanforen oder über wenig aussagekräftige Freundeslisten. Wird das Wort Freundschaft dadurch auf Dauer eigentlich sinnentleert?
Scheint das Web 2.0 als neue Geldgrube der IT-Branche auch gescheitert, erfreut es sich bei Usern stetig wachsender Beliebtheit. Im vagen Raum der Öffentlichkeit hat sicherlich der Wahlsieg des demokratischen Kandidaten Barack Obama in den vereinigten Staaten das letzte Eis gebrochen. Dieser hatte mit seiner Website (www.barackobama.com) erfolgreich Stimmen- und Spendenfang betrieben und sich den Beinamen 'digitaler Präsident' redlich verdient. Doch es mehren sich auch die Generationen, welche den Teddy im Kinderzimmer durch Videogames ersetzt haben und Computer so selbstverständlich bedienen wie Türen oder Toaster. Längst urbane Legenden geworden sind die Zahlen der Beziehungen aus Internetbekanntschaften oder der Prozentsatz der Jugendlichen, welche nicht glauben ohne virtuelle Medien leben zu können. Das Schlagwort 'Medienkompetenz' geistert durch das deutsche Schulsystem während die ältere Lehrergeneration noch immer treu zu Kreide und Schwämmen steht. Auch an deutschen Universitäten kommt nichts als betretene Stille auf, wenn der hochgeschätzte Professor angesichts eines "Antivir-Update" seine Präsentation mit Sorgenfalten auf der Stirn unterbricht und seine Ratlosigkeit ans Publikum weitergibt: "Was soll ich denn jetzt drücken?".
Doch die nächste digitale Evolutionsstufe wartet schon auf uns. Der Autor Gerd Leonhard entwirft in seinem Beitrag "MySpace-City" auf zeit.de eine Vision davon, in der virtuelle Netzwerke realörtliche Ballungszentren ersetzen und die Stadt als solches nur noch Life-Style-Wert besitzt. Die Gesellschaft des Menschen erlebt einen Strukturellen Wandel, wie seit dem Mittelalter nicht mehr.
Einen Vorgeschmack erleben wir schon jetzt: Nutzgeräte werden zu kommunizierenden Einheiten, das Handy zur Allzweckelektronik mit Funktionen von Videokamera bis Spielekonsole. Flächendeckender WLAN-Zugang ist eine reine Frage der Zeit. Der Philosoph Peter Sloterdijk schreibt in seinem Werk "Sphären II - Globen" gar von einer "Raumkrise". Doch nur ein Narr würde glauben, es gäbe zur fortschreitenden Digitalisierung und Technisierung der Welt eine praktikable Alternative. Eine kritische Betrachtung - als Wahrnehmungshaltung verstanden - tut jedoch in jeder Hinsicht Not und sei es nur um nicht auf kurzlebige Trends reinzufallen. Dem Ästheten bleibt zu hoffen, dass die Miniaturisierung eines Tages zur Unsichtbarkeit der ganzen futuristischen Leitungen, Kabel und Antennen führt und zumindest den Augen Erleichterung verschafft. Bis dahin trösten mich die Gedanken daran, dass man auch in neuen Medien Beständigkeit finden kann: Heute wie vor 10 Jahren dient das Internet hauptsächlich Sex und Kommerz. Immerhin handelt es sich dabei um die beiden Grundbedürfnisse des modernen Menschen. Das ist doch was!

Sonntag, 1. März 2009

Die Langeweile der Erklärbarkeit

Eher zufällig fand "Der Illusionist (2006)" heute Abend den Weg in meinen DVD Player. Um der Notwendigkeit einer kurzen Rezension Genüge zu tun, sei gesagt, dass es sich um einen mittelmäßig guten Film handelt, dessen vorhersehbarer Erzählverlauf dem eigentlichen Sinn dieses Films entgegen läuft. Blenden und Schnitte haben mir auch nicht sonderlich gefallen, aber meine persönliche Vorliebe für den Schauspieler Edward Norton machte da viel wieder wett. Dieser spielt die Rolle des Zauberkünstlers "Eisenheim", der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wien mit seinen Illusionen unterhält.
Was mich bei Filmen wie Prestige (2006) gestört hat, wurde hier zunächst besser gelöst. Anstatt hinter die Kulissen des Magiers zu blicken, folgten Story und Kamera den Illusionen auf der Bühne. Auch ich habe mich von dem aus einem leeren Blumentopf wachsenden Orangenbaum verzaubern lassen. Ein simpler CGI Effekt, natürlich, doch als Rollenspieler gewöhnt sich in Situationen hineinzudenken, ergriff ich dankbar das Identifikationsangebot mit dem staunenden Publikum. Warum aber ist gerade dieses 'Staunen' so verpönt?
Die Rolle des in mehrfacher Hinsicht betrogenen Prinz Leopold vertritt dabei die moderne Vernunft: ein Mensch der bereit ist an jede Wissenschaftelei zu glauben, nur nicht an etwas Übernatürliches. Staunen wird in eine kindliche Sphäre verweisen und abgewertet. Doch es ist gerade eine Illusion zu glauben, ein heutiger gebildeter Mensch fiele in unwissende Unmündigkeit zurück, nur weil er Freude am Staunen findet. Nein, es ist etwas anderes, was Erklärungen so zwingend werden lässt: Die heutige Welt ist überzeugter denn je vom Stand ihres Wissens, ganz ähnlich der Epoche des Fin de Siécle. Alejo Carpentier Einschätzung im Vorwort von "El reino de este mundo" von 1949 scheint in leicht abgewandelter Formulierung noch Gültigkeit zu haben: 'In der europäischen Kultur ist kein Platz für das Wundersame', denn schon der kleinste Funke Magie lässt an der ganzen errungenen Ordnung zweifeln. Im Film breitet sich nach den vermeintlichen Totenbeschwörungen von Eisenheim Revolutionsstimmung im Volk aus. Es zeigen sich Gefahr und Möglichkeit Ebenen zu verwischen, Dogmen zu hinterfragen und mit Konventionen zu brechen. Das Aufklärende Ende entpuppt dabei leider die fade Konstruktion. Schade, denn gerade Kunst lebt von jenen neuernden Grenzüberschreitungen und gerade der Film an sich hat sich seit der Faszination seiner Kindertage zu sehr vom Wundersamen und vom Staunen entfernt. 'Magischer Realismus' eines Salman Rushdie wäre in dieser Hinsicht interessanter gewesen.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Wachsamen Auges ins Ungewisse

"Die Wirtschaftskrise in der Euro-Zone eskaliert: Die Industrieproduktion ist Ende 2008 so stark eingebrochen wie nie zuvor - die EU-Kommission zeigt sich bestürzt vom Ausmaß und Tempo der Verschlechterung. Volkswirte erwarten nun neue Absatzeinbrüche und Stellenabbau." (Spiegel-Online, Artikel http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,607219,00.html, 12. Februar 2009)

Wieder sind die sogenannten 'Experten der Finanzwelt' erstaunt über den Unterschied von Wirklichkeit und Erwartung. Doch auch der kritische Betrachter muss zugeben, dass die Lehrbücher schon längst keine Antworten mehr liefern. Die Wirtschaftskriese, dieses aus - systematischer Verantwortungslosigkeit geborene und in den Medien getaufte - Monstrum wächst noch immer. Dankbarerweise halten sich all die Weisen, welche noch im Juli 08 den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen nun bedeckt und auch führende deutsche Bankmanager haben verstanden, dass bei der aktuellen Stimmung turbokapitalistische Töne eher unangebracht sind. Doch der Verzicht auf Prämien und Bonuszahlungen (z.B. der deutschen Bank) ist nicht mehr als eine symbolische Geste, wo schon die bisherigen Konjunkturpakete kaum Auswirkungen zeigten. Proteste gegen den massiven Staatseingriff scheinen verstummt. Namhafte Medien zitieren zwar ab und an die hübsche Abkürzung "Stamokap" und kritisieren vorsichtig den auflebenden Protektionismus, doch immer nur im Nachbarland und nicht mehr ganz so beherzt, wie man könnte, wenn man wollte.
Nein, diese Wirtschaftskriese ist in eine Phase lähmenden Entsetzens eingetreten, ohne sich ihres vollen ausmaßen bisher bewusst zu sein; die Ahnung genügt. Und auch die Pleiten namhafter Firmen wie Schiesser oder Mäklin lassen einzig die Frage übrig, wen es als nächsten trifft. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Perspektiven schwinden. Die meisten Firmen spielen auf Zeit und bangen, dass die 820000000000 Dollar von Obamas Konjunkturstütze nicht ausreichen, den richtigen Impuls zu geben.
In China wartet zudem schon die nächste Blase, durch überbewertete Wirtschaft und massive Kreditvergabe. Nein, die Zeiten sind nicht gut, doch sie sind noch immer weit besser als '33 oder '13. Vielleicht sollten wir, als wohlstandsverwönte Mitteleuropäer, auch dies nicht vergessen und bedenken, dass jede Zeit der Kriese schon immer eine Chance für Extreme bot. Bleiben wir gemeinsam wachsam.

Sonntag, 18. Januar 2009

Kriegsübelkeit

Eigentlich wollte ich nicht, dass dieses Blog eine politische Note bekommt. Keine politische Stellung zu beziehen ist (wohlweißlich) unverfänglich und bequem. Doch, wenn ich dieser Tage Nachrichten lese, wird mir regelmäßig schlecht. Machen wir's kurz, es geht natürlich um Israels sogenannten "Krieg gegen die Hamas". Welche Beruhigung verspricht angesichts solcher Themen doch die geistig und zeitliche Beschäftigung mit der kriselnden Lage, des deutschen Geldes, den politischen Querelen in Hessen, den realen und allzu nahen Problemen des eigenen Alltags. Wie angenehm kann man sein Gewissen beschwichtigen, wenn man bedenkt, dass neben der Bundeskanzlerin auch der neue Hoffnungsträger Barak Obama eindeutig für Israels Sicht der Dinge plädiert. Wie nützlich ist es auf einmal, auf die sonst so unliebsame "Schulddebatte" zu verweisen und sich über deutsche Kritik an israelischen Militäroperationen zu echauffieren. Wie elegant kann man sich letztlich aus der Affäre ziehen, indem man die Möglichkeit auf Information als Grundlage zur eigenen Meinungsbildung in Zeiten eines modernen Medienkrieges per se bezweifelt. Ja, auch in Afrika sterben Menschen. Vielleicht hat man dort sogar ein Patenkind und auch Geld für einen Brunnen gespendet. Zu Weihnachten war man auch in der Kirche. Schließlich kann man sich ja nicht um alles kümmern. Dann müsste man ja gleich auf die Straße gehen. Wie soll man denn da leben? Die anderen machen doch auch nichts...

Doch jeder Blick in die Tageszeitungen erinnert, dass in Israel Menschen sterben: Israelische Zivilisten, Israelische Soldaten, palästinensische Männer, Frauen und Kinder. In Zeiten eines "war against terror" scheint es zudem einfacher geworden, jeder tote Säugling nachträglich als Kollateralschaden einer ungenauen, unsauberen aber angeblich notwendigen Kriegsführung zu deklarieren und jede Form von unmäßiger Gewalt und Grausamkeit mit Gegenbeispielen der "anderen Seite" zu rechtfertigen. "Auge um Auge", Rakete um Rakete. Seltsam wirklichkreisresistent scheint noch immer die Vorstellung eines sauberen Krieges, die Willigkeit zu Parolen von der "Verteidigung westlicher Werte". Doch Israels Feind ist kein oft zitierter Terroristenstaat auf dem Weg zur Atombombe, sondern ein als Geisel genommenes Volk vor einer humanitären Katastrophe, bewusst provoziert von einer mit westlichen Waffen ausgestatteten israelischen Militärmaschine. Europa hingegen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, absehbar unwirksame Resolutionen verabschiedet zu haben während Israel weiterhin notwendige humanitäre Hilfe blockierte, gekennzeichnete UN-Laster und die UN-Fakhura-Schule im Jabaliya-Flüchtlingslager beschoss. Je mehr man über diesen Krieg weiß, desto wahnwitziger erscheinen einem zwangsläufig seine Idee, seine Ausführung und seine Macher. Man kann nur dankbar sein, dass die westlichen Medien beginnen dem Leid der Opfer mehr Gewicht zuzugestehen und öffentlichen Druck auf die Kriegsparteien auszubauen. Dass die lang ersehnte Waffenpause gerade in jener Phase ausgerufen wird, in der die Bilder sterbender Kinder auch in israelischen Medien zunehmen, wird nur allzu verständlich durch die dort anstehenden Wahlen. Doch auf welche Weise die nun anlaufende politische Bewertung des Krieges auch ausfallen mag, einige Dinge können als nahezu sicher angenommen werden und tragen darin enorm zu meiner Übelkeit bei:

- Die Leidtragenden sind, wie immer, Zivilisten.
- Die Hamas wurde nicht vernichtet.
- Ehud Barak wird die Wahl gewinnen.
- Eine diplomatische Lösung ist ein weiteres Mal deutlich erschwert worden.
- Begangene Kriegsverbrechen werden weitgehend ungeahndet bleiben.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Der Wahnsinn der ganz normalen Welt

Es ist Mittwoch. Ich sehe aus dem Fenster auf den Hof, der noch weiß bedeckt ist. Doch der Schnee ist längst nicht mehr jungfräulich, nicht mehr weich. Über Nacht ist er zu Eis gefroren, haben sich Reifenspuren und Fußabdrücke erhalten. Ich finde ihn dennoch schön, weil er das Gewöhnliche verhüllt. Auch meine Spuren sehe ich und erinnere mich an das wohlige Knirschen unter meinen Füßen.
Auf der Straße vor dem Haus kommt bereits wieder der Asphalt durch. Streusplitt liegt auf den Bürgersteigen. Trotzdem muss ich die glatten Stufen vorsichtig hinuntersteigen. Im Bus in die Stadt wird über das Wetter geredet, welche Probleme es bringt und wann es sich denn ändert. Auf dem Fahrzeugboden bildet sich ein Matsch aus Dreck und Wasser von den Schuhen. Ich schweige und schaue lieber zu den Ästen der vorbeiziehenden Bäume, die sich unter dem Schnee biegen und ihn doch nicht abschütteln. Das Wetter lässt Menschen andere Wege nehmen. Ein älterer Herr und eine Dame kommen über Operationen ins Gespräch. Er lacht, sie kokettiert und beide trennen sich am Busbahnhof. In der Stadt geht alles seinen gewohnten Gang. Noch immer werden Weihnachtsgutscheine eingelöst. Ich esse eine warme Portion "Thom Ka Gai"; das ist asiatisch und schmeckt nach Hühnchen und Kokos. Als Überraschung gibt es frisches Maisbrot als Beilage.
Seit einer Woche führt Israel Krieg gegen die Hamas, einen sogenannten Krieg für den Frieden. Es ist die Schlagzeile des Tages. Menschen betreten den Laden und bestellen. Ich kaufe noch ein Brot für den Abend und kann mir das Leid im Gazastreifen kaum vorstellen. Ich suche in den Gesichtern der Passanten nach einem Hinweis, dass auch sie sich Sorgen machen, doch vor der aufdringlichen Werbung eines Reisebüros entgleiten mir diese Gedanken. Während ich die Neuerscheinungen im Buchladen studiere, sterben in Israel Frauen und Kinder. Eine beiläufig gekaufte DVD erzählt die Geschichte der Bartholomäusnacht. Ich betrachte die Menschen um mich und bin eigentlich gar nicht hier.
Castortransporte und Müll aus Neapel kommen ins Land. Meine Magisterarbeit geht schleppend voran. Nicht nur in Ostdeutschland erstarken die extremen Rechten. Alle schnüren Milliardenpakete. Im Kongo vergewaltigen Milizen Frauen. Ein Finanzmagazin berichtet, wie man die neusten Steuern austrickst. Kommunikationsfirmen verkaufen die Daten ihrer Nutzer. Ich sehe in einem Kaufhaus den ersten Staubsaugrobotter und denke an Huxley. Irgendwo auf der Welt dopt genau jetzt ein Spitzensportler um noch einen Sekundenbruchteil schneller zu sein und im All dreht sich ein zunehmend weniger grüner Planet um einen großen Feuerball ...

Donnerstag, 1. Januar 2009

Ein Vampir hat es heute schon schwer

Schon in der Romantik vermischten sich in der Gestalt des Vampirs Phantasien schwermütiger Dichter mit den Resten abergläubischer Volksängste und lokalem Sagentum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten Hollywood und Bella Lugosi den Glamour von weißer Schminke und schwarzem Cape. Hernach war es insbesondere die Romanautorin Anne Rice, welche durch ihre Vampirsagen in Gestalt des blonden Lestat die Verführungskünste im antiquierten Rüschenhemd unterstrich, während in Gothic Kreisen das Idealbild Vampir rebellische Lack und Lederblüten trieb. Insbesondere für die Erotikliteratur waren die Vorstellungen von penetrierendem Biss und düster-magischer Dominanz durchaus fruchtbar. In den 90er Jahren dann, fing das Rollenspiel "Vampire: the Masquerade" jenes Vampirbild ein und konserviert es noch immer. Heute, im 21. Jahrhundert wären die zahlreichen noch die überzeichnete, sonnenbrillentragende Actiongestalt eines Blade zu nennen, nebst pubertären Highschoolphantasien alla Buffy & Angel , welche Begannen neue Genrebereiche zu erschließen. Das Nachfolgerrollenspiel von White Wolf, "Vampire: Requiem", trug dieser Entwicklung Rechnung und versuchte sich wieder im Horrorgenre zu verankern, fort von romantisch seufzenden Jünglingen und Teeniegekreische hin zum erwachsenen und gruseligen Kampf um die menschliche Seele.
Nach all diesen Entwicklungen scheint der Vampir gerade in der modernen Belletristik einen neuen Nischenplatz gefunden zu haben, wo seine Interpretationen, ärgerlicherweise und in Ignoranz solch großartiger Vorlagen wie "Bram Stroker, Dracula", vor keinem Klischee halt machen. Die jungen Autoren verschlimmbessern den modernen Mythos, wo sie nur können. Angefangen bei der Unart plumper Wortspiele im Titel (z.B. "Stephanie Mayer: Bis(s) zum Morgengrauen") , über den Topos des "guten Vampirs, welcher nur von Tieren trinkt", hin zum unermüdlich beschworenen Konflikt zwischen Blutsaugern und Werwölfen. Deutlich auch ist die Ausrichtung auf eine weibliche Zielleserschaft, insbesondere in der Kombination "jugendliche, unscheinbare, weibliche Sterbliche trifft auf meterosexuelle, dunkle Ritterfigur". Es scheint eine Marktlücke gefunden; der Ausschlachtungsprozess ist im vollen Gange. Einzig der auf den ersten Blick ennervierendste neue Roman dieser Sparte (Mary Jane Davidson: Weiblich, ledig, untot") vermag, gelesen als selbstbewußte Parodie auf den wuchernden "Vampirkitsch", dann doch ein Schmunzeln zu entlocken.

Der Tag an dem ich einen wirklich schlechten Film sah

Wie konnte das passieren? "So finster die Nacht" hätte es sein sollen, der hochgelobte Vampirfilm aus Schweden, meinetwegen "die Buddenbrooks" als magenschwere Literaturverfilmung, oder aktueller denn je "Walz with Bashir"; doch der kleinste gemeinsame Nenner war wie so oft schnödes Hollywood mit dem Film "Der Tag an dem die Erde still stand", ein Remake des 1951 erschienenen Science-Fiction Klassikers von Robert Wise.
Doch was genau kann man von Poppcornkino verlangen? Sind es mitreißende Action, Bahnbrechende optische Effekte, Innovative Kamerafahrten? Machen wirs kurz, dieser Film hatte nichts davon. Dabei kann ich durchaus darüber hinwegsehen, dass das Minenspiel des Hauptdarstellers "Keanu Reeves" etwa auf dem Niveau einer Wachsfigur verblieb und die Macher nicht mit Nebelmaschinen und Logikfehlern sparten. Was den Film in meinen Augen zu einem Anwärter auf die goldene Himbeere macht, ist die miserable Übertragung der Vorlage in die heutige Zeit. Die in den Sechzigern durchaus gegenwärtigere Bedrohung durch "die Bombe" wird ersetzt durch esoterische Worthülsen eines "Scheidepunktes der Menschheit", welche mit viel Phantasie einen Bezug zur Klimaproblematik erahnen lassen. Der klassische Roboter verwandelt sich zeitgemäß auch brav dann in Nanoinsekten, die in Schwärmen alles Menschenwerk und die Menschheit gleich mit auffressen. Noch kunstloser jedoch gab sich die Auflösung des Films, bei der der maskierte Alien Reeves bzw. Klaatu der Versöhnung zwischen einer rebellischen Forscherin und ihrem den Film über eh nervigem Stiefsohn beiwohnt, dadurch eine angeblich "erhaltenswerte Seite" der Menschheit erkennt und die große Vernichtung kurzerhand abbläst. Hier spart Hollywood nicht an halbgaren Klischees samt halbherziger Umsetzung. Hand aufs Herz, selbst die schlechteste Liebesgeschichte hätte diesem Streifen noch gut getan.
Was bleibt sind allein die Fragen, die - heute so aktuell wie 1951 - kaum an Provokanz verloren haben: Wofür wäre die Menschheit in einer ähnlichen Situation erhaltenswert? Was könnten wir einer überlegenen Spezies oder einer anderen Richterinstanz vorweisen? Würden Beethoven, Shakespeare und Da Vinci genügen? Und schafften wir es doch noch, uns in nuklearem Supergau auszulöschen, wären eine amerikanische Flagge auf dem Mond, ein paar Satellitentrümmer in der Umlaufbahn und ein einsamer Forschungsrobotter auf dem Mars die einzigen traurigen Spuren des ach so fortschrittlichen Menschengeschlechts.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Deutschsein

"Er hat immerhin Straßen gebaut und für Arbeit gesorgt", höre ich mit der Stimme meines Großvaters einen eben jener Sätze, welche mir kalt den Rücken hinab kriechen. Es sind diese Gedanken, gegen die Paul Celan mit seiner Lyrik anschrieb und Erinnerungen wach rief an eine Zeit, in der niemand etwas gesehen und noch weniger etwas getan haben will. Können wir denn alle von Rosa Luxemburg abstammen?
Zähle die Mandeln!
"Ja, die Deutschen sind zäh", tönt eine alte Frau auf Krankenhauszimmer 108, ein Bett neben meiner Oma. In Gedanken erwidere ich, dass schon das Konzept von Nationalität Entindividualisierung begünstigt und lese die Niemandsrose. Um nichts anderes scheint Celan zu kreisen als um einen unausgesprochenen Vorwurf, der unser Denken erschüttert wie Judith Butlers Theorie von den Geschlechtern. Deutscher, das bin ich auch, sagt zumindest mein Reisepass.
Mandelbaum, Trandelmaum.
Ein Plakat in der Universität zeigt zwei Fotografien aus Dresden; die eine mit jubelnden Nationalsozialisten, die zweite mit zerstörten Häusern und betitelt: "Sowas, kommt von sowas." Doch gerade die implizite 'Unausweichlichkeit der Geschichte' ist problematisch, verschiebt sie doch die persönliche Schuld hin zu einer unpersönlichen Volksschuld. Die Frage aber muss lauten: Wie konnten die Väter unserer Väter so etwas zulassen? Und was hätten wir getan?
Bandelmaum, Mandeltraum.
"Der Junge kommt nach seinem Großvater, ganz die nordische Linie", findet sich unter den Sätzen auf dem diesjährigen Familienfest. Ich aber will nicht nach jemandem kommen, will kein Deutscher sein, will das Identifikationsangebot nicht annehmen. Denn, ist nicht jedes Denken in Kategorien gleichzeitig ausgrenzendes Konkurrenzdenken zu anderen, nicht gewählten Kategorien, derselben Ordnungsstufe? Was heißt Deutscher sein anderes, als 'nicht Franzose sein?'.
Und auch der Machendelbaum.
Celan setzte dem 'Recht auf Vergessen' die 'Pflicht des Überdenkens und Erinnerns' entgegen.
Ist es in diesem Sinne nicht an der Zeit der 'Dekonstruktion der Geschlechter' eine 'Dekonstruktion der Nationalitäten' beizustellen? Dass Celan kurz nach Kriegsende scheitern musste, scheint nachvollziehbar. Doch ist es heute denn so anders?
Aum.

X-Mas

Es ist Weihnachten. Weihnachten? Ich habe den Tag mit einem Teil meiner Familie verbracht, Steffi mit der ihren. Es roch ein wenig nach Plätzchen und von einer "X-Mas-Compilation" (welch ein ekliges Wort!) ertönte Bing Cosby. Der Ablauf war genau geplant: Oma abholen, Unterhalten, Geschenke, Essen. Der ganze Stress der letzten Wochen kulminierte in diesen wenigen Stunden. Und doch war es da, das kleine schamvolle Gefühl kindlicher Freunde beim Geräusch aufreissenden Geschenkpapiers, die zarte Ahnung von Beisammensein in einer Familie, welche nicht einmal untereinander auf Beerdigungen geht. Bei der dritten verschenkten Schokoladentafel fing ich an über hungernde Kinder in Afrika nachzudenken. Das Radio meldete Staus und Empfehlungen fürs Abendprogramm. Im Fernsehen liefen Tierdokus mit Klimamahnungen und kardinale Schimpftiraden auf Bankmanager. Beim Weihnachtsgrußschicken an alte Freunde per SMS merkte ich, wer sich lange nicht gemeldet hat und fand in meiner Erinnerung den Satz eines zufälligen Bekannten vom Unisport: "Nein, ich bleibe über Weihnachten hier; ich habe kein' Bock Familie zu heucheln!" Ebenezer Scrooge hätte seine Freude daran gehabt. Ich jedenfalls wäre gerne in eine Kirche gegangen, aber nicht in Familienüberfüllte samt schreienden Kindern und bekämpfte stattdessen meine annahende Erkältung und Dauerschluckauf mit allerlei Hausmitteln. War das nun Weihnachten? Weihnachten? Vielleicht finde ich es ja nächstes Jahr...

Montag, 22. Dezember 2008

Goo

Vor ein paar Tagen noch habe ich mich an dieser Stelle über meine mangelnde Zeit beklagt. Videospiele gehören definitiv zu den "Zeitfressern Nummer 1" und sind meist so langweilig wie unerfüllend. Dennoch war mein Geist schwach und ließ sich ablenken; Gott sei dank, denn sonst hätte ich wohl eines der innovativsten Spiele der letzten Jahre verpasst: World of Goo!
Hinter dem Namen mit den vielen schönen tiefen Vokalen, verbirgt sich eine Physiksimulation im Gewand eines Geschicklichkeitsspiels. Putzige Knetbälle werden über Verbindungsstreben zu Türmen aneinandergepappt um spezielle Röhren als Zielpunkte zu erreichen. In den verzwickten Leveln ist dabei Mausgefühl, Bauchgefühl und Hirnschmalz vonnöten, denn meist sind die Ausgänge hinter allerlei Hindernissen verborgen. Dazu gibt es Sonderknetsorten, z.B. explodierendes Goo, haftendes Goo oder wiederverwendbares Goo, welche Spielspaß und Komplexität deutlich erhöhen. "World of Goo" durchzuspielen ist dabei wirklich nicht sonderlich schwer, wartet jedoch in jedem Level mit Bonuszielen auf, welche einiges an Übung erfordern. Als wäre das Spielprinzip nicht innovativ genug, wäre da noch das ungewöhnlich cartoonhafte Artwork, die absurde aber durchaus intelligente Handlung, die passende Musikuntermalung und die gelungen niedlichen Soundeffekte (welche deutlich an Worms erinnern) zu erwähnen. Doch mit den "Credits" macht sich die Verwunderung breit: nicht mehr als drei Namen tauchen dort auf. Es gibt sie also doch noch, die independent Spiele, die den großen Spieleschmieden zeigen, wo der Hammer hängt.
Mit World of Goo hatte ich einige sehr vergnügliche Stunden, mit den handelsüblichen Megasellern alla "Oblivion", "Unreal" und wie sie alle heißen, langweile ich mich höchstens und ärgere ich mich schlimmstens über unschöne Bugs oder halbgares Design. Warum also nicht zurück zu den Wurzeln der Computerspiele kehren? Am Ende meines erfrischenden Ausfluges in eben jene Arcadewelten melde ich stolze 855 gerettete Goo Bälle. Any competitor?

Freitag, 19. Dezember 2008

Katastrophengedanken

Wie weihnachtlich doch alles ist: so viele Geschenke, soviel Schein. Heute aber wurde es in Bonn wenig Weihnachtlich, als plötzlich Innenstadtweit die Bankautomaten ausfielen. "Systemfehler" prangte auf den Monitoren, vor denen sich kleine Mengen hochgestressten Weihnachtsspätshopper zusammenfanden um sich gegenseitig der Unverschämtheit dieses Systemfehlers zu versichern. "Man muss doch noch Geschenke kaufen." "Man muss doch Bargeld in der Tasche haben." "Ist das etwa die Finanzkriese?" Wahrscheinlich ist dies nur auf einen Fehler in der Software zurückzuführen, spielte das System für einige wenige Augenblicke einfach nicht mit; vielleicht der Großandrang.
Doch spielen wir das beliebte Spiel des Konjunktivs. Was wäre denn, wenn das System 'crashte' (abgesehen von dem furchtbaren Anglizismus, natürlich)? Wie schnell würde die Infrastruktur zusammenbrechen? Wie überfordert wäre die Ordnungsmacht, wie gierig und panisch der Einzelne? Würden sich Weihnachtseinkäufer binnen Minuten in plündernde Fackelzüge verwandeln, oder würde die Passivität der Bevölkerung andauern und sich erst nach Tagen der Verzweiflung der Handlungsfähigkeit weichen? Eigentlich wäre dies ein schönes Szenario für ein Buch. Ein junger Soldat ist der Erste, der an einem Schalter kein Geld mehr ziehen kann. Die Medien melden überfordert Unstimmiges und Gegenteiliges. Eine ältere Dame verfolgt von ihrem Fenster aus mit dem Opernglas die immer unruhiger werdenden Menschenmassen auf dem Marktplatz. Die kleine Lilly verliert ihren Vater unter den Tritten des sich bildenden Mobs und findet Zuflucht in der verlassenen Stadtkirche. Zwei Professoren debattieren in einem Straßencafé über Marx und Deeskalation und sie sind die ersten Opfer. Gewalt und Feuer folgen. Ein Literat ist auf der Suche nach Batterien für sein Diktiergerät und wittert das Buch seines Lebens. Zwei Bankangestellte versuchen zu fliehen, als sie Stimmen im Treppenhaus hören. Der ältere versucht die Menge zu beschwichtigen und wird gelüncht, der jüngere schwingt sich auf zum anarchistischen Propheten und beginnt im Wahn Stimmen zu hören. Ein junger Punk trifft auf der Flucht seine Jugendliebe und verschanzt sich in einem Sexkino. Gierige Plünderungen werden zu frustrierter Gewalt und Lust an der Zerstörung, die Polizei wechselt die Seiten. Ein alter General gibt den Feuerbefehl für das Militär. Aus Rauch und Trümmern erhebt sich am nächsten Tag eine Stadtdiktatur. Als neue Währung werden Zigaretten ausgerufen; der Umtauschkurs in die Unze Gold ist 2000:1.

Montag, 15. Dezember 2008

Ein Topos

Wer gerne liest, wird oft auf Bücher stoßen, die er gerne lesen würde (nichts wäre banaler). Doch alleine bei meinem heutigen Besuch im Buchhandel meines Vertrauens fand ich gleich derer fünf und das auch nur, weil ich nicht richtig geschaut habe. Der neue Tellkamp scheint gewichtig, die Gesamtausgabe von Kafka gewichtiger, die Neuübersetzung der Ilias lockt mit zeitloser Klassik, doch da ist auch noch das kleine und eventuell geistreiche Büchlein über den Sinn des Lebens von Terry Eagleton.
Und genau hier kommt das Problem: wenn man annimmt, dass ein Mensch nur ca. 15.000 Lesetage zur Verfügung hat und weiter annimmt, dass ein Buch ca. 3-5 dieser Tage verbraucht, dann ergibt das eine Menge von ca. 3000 Bücher, die ein Mensch in seinem Leben lesen könnte. Doch das tiefere Problem steckt im Konjunktiv, denn da sind ja noch andere Medien wie Musik oder Film, das Weltgeschehen vermittelt durch Nachricht und Zeitung und immer wieder der Wunsch nach eigenem Schreiben, Freunde, Beziehung, Spaziergänge, Hobby, Sport. Zeit, die der Literatur verlorengeht. An dieser Stelle bricht mir Schweiß aus: Es muss selektiert werden, ausgewählt, abwägt. Soll ich lieber Shakespeare durcharbeiten oder Brecht? Darf es Goethe sein oder Hugo? Und kann ich es mir erlauben, mich tagelang in russischen Erzählungen von Gogol bis Mandelstamm zu verlieren, wenn ich nicht mal Mallermés Gedichte kenne? Was war mit meiner Jugend? Computerspiele, Besäufnisse, Pokerrunden. Ich hätte Cicero, Bocaccio und Petrarca haben können! Waren die ersten Lieben blass im Vergleich mit Dantes erhabener Beatrice? Was ist mit all den unbekannten Literaturen, die ich schon immer erkunden wollte, Japan, Lateinamerika, Indien?
"Leise, langsam, Unglückseliger" scheint der Winter mir zuzuraunen. "Überschlage dich nicht, sondern lese!" Recht hat er. Mit jedem Satz kommt man dem unerreichbaren und unbenannten Ziel zumindest einen Satz näher.

Samstag, 13. Dezember 2008

Alle Jahre wieder ...

Es sind noch 11 Tage bis Weihnachten, jenem Fest, bei dem das Lametta so schön amerikanisch glitzert. Und jedes Jahr zu Weihnachten stelle ich mir die gleiche Frage: "Was soll das alles ?" Vielleicht verfalle ich gerade in meine jährliche Weihnachtsdepression, gepaart mir Weihnachtsunfreude und Missmut über die allgemeine, zu dieser Jahreszeit besonders deutliche, Glückseelenlosigkeit. Das der Coca-Cola Weihnachtsmann das Christkind, Geschenke die gemeinschaftliche Botschaft und Hektik die vielleicht einst so besinnliche Zeit überdeckt haben, ist oft und schnell gesagt. Doch wie jedes Jahr verspüre ich gerade in dieser Zeit voll Lebkuchen und Schokoladenäpfeln, Zimtsternen und Stollen eine eher fade Leere. Und in der Stadt wird gekauft und gekauft, so als gäbe es keine Finanzkriese, so als erwärmte sich nicht die Erde, so als hungerten in Afrika keine Kinder. Für wenige Tage kann man all das schlechte Gewissen vergessen und nach Herzenslust shoppen; macht ja schließlich jeder. "Hast du schon Lametta?", "Nein, aber ich brauche noch ein Geschenk für die Nichte von Heinz.", "Kommen die denn auch zu Besuch?", "Hach, ja. Wie jedes Jahr." "Aber du kannst die garnicht leiden." "Weihnachten eben."
Grausam sind die kleinen Beobachtungen, die alten Männer mit den Wollmützen, welche aus der Zeit gefallen, die Reihen des Weihnachtsmarktes abschreiten und befremdet auf die jungen Leute schauen, die sich vor dem Glühweinstand schon Mittags betrinken. In dieser Zeit fühle ich mich oft wie einer von ihnen. Selbst die
Buchläden, in denen ich mich sonst wohl fühle, sind mir im Dezember fremd. Dort tummeln sich Großtanten und Onkel, Väter und Freunde und auf einmal erhält Dostojewski wieder Beachtung, auf einmal fragt man nach Dickens ... natürlich der Weihnachtsgeschichte, was sonst. Zwischen den Konsummenschen geht eine Mutter mit ihren Kindern und singt "Schneeglöckchen, Weißröckchen", doch der Gefrierpunkt ist fern. Ich beneide die Kinder und wünsche mich doch nicht zurück. Vor den geschlossenen Toren der Universität erfasst mich die Sehnsucht nach der Ruhe des Seminars, den Reihen verstaubter Faksimiles und Menschen vom Format eines Schiller, eines Rousseau. À Noel, je suis un autre.

Freitag, 12. Dezember 2008

Toilettenschmutz

Wenn ich über die Sanitären Anlagen der Universität Bonn rede, bin ich ja vieles gewöhnt. Mit Edding an Wände zu schmieren scheint eine gern verübte Freizeitbeschäftigung zwischen Seminaren zu sein. Natürlich sind Teile der Anlagen auch öffentlich zugänglich, doch 'Mitteilungen' wie "Studiengebühren gehören abgeschafft!" oder "Nazis Raus!" scheinen mir nicht die Theorie von Fremdbeschmutzung zu erfordern. Heute aber erreichte der 'Schmier' eine neue Dimension, nämlich die der Integrationspolitik. Zu lesen war "Deutsche raus aus Deutschland!", "Shaira als Grundgesetz!", "Tötet alle Schweinefresser!" und "Christen sind Söhne von Schweinen und Hühnern." Neben der Menge der Einzeiler (fast die ganze Wand war so beschrieben) waren auch die wenigen 'Antworten' darunter nicht besser. "Verpisst euch aus Deutschland!" und "Ihr gehört abgeschoben!" ließen im Zusammenspiel mehr als nur Unbehagen in mir aufsteigen. Ohne es nur an solchen Schmiergefechten festzumachen, habe ich das Gefühl, das etwas in integrativer Hinsicht in diesem Land falsch läuft. Eine nach "Abschiebung" schreiende Leitkultur wäre aber keine Antwort, sondern eine Katastrophe, bei der Celan sich im Grabe umdrehte. Mir bleiben einige Fragen zurück: Wird sich dieses Spannungsverhältnis mit zunehmender Finanzkriese verschlimmern? Wo lässt man einen Dialog beginnen? Warum reizen saubere Toilettenwände eigentlich als Forum für politische Statements oder sonstigen Gehirnabfall?

Ich habe letztens Steffi gefragt, wie das bei den Mädels aussieht. Die Antwort gab mir dann nocheinmal zu denken. Ich zitiere: "Die Wände sind eigentlich wenig beschmiert. Wenn, dann stehen dort ernstere Fragen wie 'Wie merke ich, dass mein Freund mich liebt?' oder 'Ich bin schwanger. Soll ich abtreiben?', zum Teil mit betroffenen Antworten."

Orlando Furioso, Vivaldi

Die Bonner Oper ist immer wieder ein Erlebnis. Gern habe ich dort Sommernachtstraum gesehen und gehört oder mich bei der Zauberflöte verzaubern lassen. Doch dass ein Opernbesuch auch immer Risiko ist, davon konnte ich mich letzte Woche überzeugen. In Abendgarderobe machten Steffi und ich uns auf, sich unter das Bildungsbürgertum zu mischen. Eine barocke Zauberoper war angekündigt und sogleich die Ouvertüre war angenehm ungewöhnlich. Flöten und Streicher und Klavier beschäftigten den Orchestergraben, dessen Dirigent sich meines Applauses von Anfang an sicher sein konnte. Dann jedoch jagte eine Fehlbesetzung die nächste. Der maurische Fürst Medoro war, sterbend wie magisch genesen, gleichsam bemittleidenswert. Orlandos Auftritt auf einem riesigen Holzpferd war eindringlich, doch die Stimme der Sängerin für meinen Geschmack der Rolle nicht angemessen. Ich meine, ich habe ja nichts gegen Transvestien, noch gegen einer Interpretation zugunsten der Frauengestalten und halte persönlich die Queer-Theory für ein bedenkenswertes Stückchen Fortschritt, aber sich diesen Orlando rasend vorzustellen war mir kaum möglich. Zudem war es bitterkalt im Opernsaal, so dass dies, kurzum, den Ausschlag zu unserer Flucht in der Halbzeitpause gab.
In einer im Foyer ausgestellten Rezension hieß es "immerhin gab es keine Buhrufe bei der Premiere". Da fragt man sich, ob diese Tatsache schon für ein gutes Stück spricht.