Mittwoch, 7. Januar 2009

Der Wahnsinn der ganz normalen Welt

Es ist Mittwoch. Ich sehe aus dem Fenster auf den Hof, der noch weiß bedeckt ist. Doch der Schnee ist längst nicht mehr jungfräulich, nicht mehr weich. Über Nacht ist er zu Eis gefroren, haben sich Reifenspuren und Fußabdrücke erhalten. Ich finde ihn dennoch schön, weil er das Gewöhnliche verhüllt. Auch meine Spuren sehe ich und erinnere mich an das wohlige Knirschen unter meinen Füßen.
Auf der Straße vor dem Haus kommt bereits wieder der Asphalt durch. Streusplitt liegt auf den Bürgersteigen. Trotzdem muss ich die glatten Stufen vorsichtig hinuntersteigen. Im Bus in die Stadt wird über das Wetter geredet, welche Probleme es bringt und wann es sich denn ändert. Auf dem Fahrzeugboden bildet sich ein Matsch aus Dreck und Wasser von den Schuhen. Ich schweige und schaue lieber zu den Ästen der vorbeiziehenden Bäume, die sich unter dem Schnee biegen und ihn doch nicht abschütteln. Das Wetter lässt Menschen andere Wege nehmen. Ein älterer Herr und eine Dame kommen über Operationen ins Gespräch. Er lacht, sie kokettiert und beide trennen sich am Busbahnhof. In der Stadt geht alles seinen gewohnten Gang. Noch immer werden Weihnachtsgutscheine eingelöst. Ich esse eine warme Portion "Thom Ka Gai"; das ist asiatisch und schmeckt nach Hühnchen und Kokos. Als Überraschung gibt es frisches Maisbrot als Beilage.
Seit einer Woche führt Israel Krieg gegen die Hamas, einen sogenannten Krieg für den Frieden. Es ist die Schlagzeile des Tages. Menschen betreten den Laden und bestellen. Ich kaufe noch ein Brot für den Abend und kann mir das Leid im Gazastreifen kaum vorstellen. Ich suche in den Gesichtern der Passanten nach einem Hinweis, dass auch sie sich Sorgen machen, doch vor der aufdringlichen Werbung eines Reisebüros entgleiten mir diese Gedanken. Während ich die Neuerscheinungen im Buchladen studiere, sterben in Israel Frauen und Kinder. Eine beiläufig gekaufte DVD erzählt die Geschichte der Bartholomäusnacht. Ich betrachte die Menschen um mich und bin eigentlich gar nicht hier.
Castortransporte und Müll aus Neapel kommen ins Land. Meine Magisterarbeit geht schleppend voran. Nicht nur in Ostdeutschland erstarken die extremen Rechten. Alle schnüren Milliardenpakete. Im Kongo vergewaltigen Milizen Frauen. Ein Finanzmagazin berichtet, wie man die neusten Steuern austrickst. Kommunikationsfirmen verkaufen die Daten ihrer Nutzer. Ich sehe in einem Kaufhaus den ersten Staubsaugrobotter und denke an Huxley. Irgendwo auf der Welt dopt genau jetzt ein Spitzensportler um noch einen Sekundenbruchteil schneller zu sein und im All dreht sich ein zunehmend weniger grüner Planet um einen großen Feuerball ...

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