Donnerstag, 31. Dezember 2009

Über die Dämonie der Liebe ...

Ist es in der Liebe nicht ganz ähnlich?
In einer käuflichen Welt scheint den eigenen Gefühlen etwas tiefgründiges anzuhaften. Liebe als Königin aller Gefühle im Versprechen auf Glück, gilt als höchstes Gut, ist das gewinnträchtigste Werbemotiv. Nur in der Liebe finden viele Menschen noch die ersehnte Intensität, doch die meisten werfen enttäuscht das Handtuch, sobald der Rausch der ersten Stunden nachlässt. Einerseits sehnen wir uns nach Geborgenheit eines gleichberechtigten Anderen, andererseits verlangen wir die erotische Aufregung des ersten Kennenlernens. Fast immer steht das "Ich" im Vordergrund, geht es um die eigenen Bedürfnisse. Doch wer den Mensch als Maschine denkt, hat es noch vergleichsweise einfach im Umgang mit dem schlagenden Muskelstück in seiner Brust. Denn ist man so töricht sich darauf einzulassen, daran zu glauben, zu lieben und danach zu suchen, unterwirft man sich einem "Anderen im eigenen Ich". Schon Goethe wusste eindrucksvolle Bilder zu finden für dieses "Lebendige (...) dass nach Fammentod sich sehnet." So wird Liebe zur gewaltigen Triebkraft des Menschen, mühelos fähig das Eigene für das Andere, eine "fremde Fühlung" zu riskieren, bedeutete es selbst den eigenen Untergang - das Symbol des an der Kerze verbrennenden Schmetterlings. Für Goethe bedeutete dies trotz langer und glücklicher Ehe intensive Liebesgedichte zur verheirateten Marianne von Willemer zu schreiben, die heute im "West-Östlicher Diwan" als lyrisches Meisterwerk gelten.
Auch Shakespeare wusste darum, standen doch Romeo und Julia - mit ihrer Liebe über alle Schranken und alle Vernunft hinweg - Pate für die Liebe der Moderne. Ist es für Romantiker nicht immer die 'wahre Liebe' zu Beginn? Ist dieser Glaube nicht fast Notwendig um die eigenen ersten Schritte zu rechtfertigen, trotz realerer Situationen und Beweggründe, Einsamkeiten, Schwächen und Sehnsüchten? Muss der Einzelne sich nicht auf den Wahn einlassen, will er auch teilhaben am Glück der Verliebten, will sein Herz schlagen hören, will sich berauschen an Liedern über jenes Gefühl und nachts mit Gänsehaut wach liegen und den Mond anschauen, wie in den Filmen? Was um den Preis der Liebe zu riskieren, was auf dem Weg zur vermeintlichen 'Wahrhaftigkeit' niederzutreten ist, bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Der Tod der großen Liebenden in Shakespeares Tragödie kann auch erklärend gelesen werden: die Wahrhaftigkeit der Liebe ist ein endliches Risiko.

(Leben, Teil 2 von 2)

Über die Sehnsucht nach Glück ...

"Das Herz ist trügerisch." Wäre dies keine Weisheit, müsste man sie erfinden. Das Christentum lehrt bis heute das Misstrauen gegenüber seinen Gefühlen, die Herrschaft des Willens über Laster und Lust. Der moderne Mensch aber hat sich weitgehend davon emanzipiert. Entscheidungen werden gern 'aus dem Bauch' heraus getroffen, Seminare drehen sich darum die 'innere Stimme' zu finden - als sei dies ein Weg zu höherer Wahrheit - und irgendwo zwischen menschlicher Gier und Esoterik haben ganze Generationen das persönliche Glücksgefühl zum Lebenszweck erklärt. "Glücklicher in drei Minuten", "Glücklicher mit dem Dalai Lama", "Der Glücksratgeber", "Glück für Anfänger", "Glücklich für Dummies", die Absatzzahlen steigen, besonders im Weihnachtsgeschäft. Ist dieses eigentlich christlich besetzte Fest heute nicht Inbegriff eines angenommenen 'Rechts auf Glück und Frieden'? Wie anders sieht die Realität aus: gehetzte Menschen in langen Schlangen stehen für buntverpackte Geschenke an. Jedem mindestens eins, sonst fehlt etwas unter dem Lamettabaum. Anstatt Besinnung sieht man auf dem Weihnachtsmarkt die karnevaleske Fett- und Zuckererlösung vom jährlichen Diätwahn. Dann, am Abend, lächelt die eben noch zerstrittene Familie vor dem Fernseher über den Coca Cola Weihnachtsmann. Und immer ist das Herz mit dabei, will mitmachen am Gefühl, will auch etwas haben vom großen Kuchen, will sich glücklich fühlen. Es Weihnachtet doch so sehr.

(Leben, Teil 1 von 2)

Montag, 9. November 2009

Morbus Kitahara

Es ist der 9. November, ein historisches Datum für Deutschland, ohne Frage. Es gibt immer viel zu erinnern in diesem Land. Man feiert in Berlin den Mauerfall. Der Zeitgeist steht mit in allen Reihen; Thomas Gottschalk moderiert vor vollen Straßen eine Inszenierung von Massenwirksamkeit und Symbolik. Bemalte 'Mauersteine' formen eine riesenhafte Dominoreihe zum Brandenburger Tor. Die Akteure von Damals warten sie anzustoßen. Selbst die sonst so hektischen Kameras geben sich ergriffen und verbleiben lieber auf Menge. Vereinzelt sieht man Feuerzeuge. Deutschland flirtet mit dem Nationalgefühl - und jeder rollt es an diesem Tag gern über die Zunge, dieses Wort, die Bundeskanzlerin gar häufig in ihrer Rede, das flügeltragende Wort, das Große :
Stammt es aus Frankreich?
Stammt es aus Amerika?
Wer hat es sonst noch gerollt auf den Zungen und zu welchem Takt?
Bemüht betont man freilich, dass am 9. November noch anderes passiert sei, Unbequemes, Schreckliches, damals halt. Das will nicht passen zum Tag des Mauerfalls wie zu keinem. Und so wird sie halt genannt, dieReichskristallnacht schnellerwähntdannhatmandasauch. Und vorgestern fand man Parolen auf Synagogen ,wie passend. Da, wo die Löhne so niedrig sind. Wie Graffiti sahen die aus, wie das Graffiti auf den Dominosteinen.
Ach sie fallen jetzt. Die Mauer fällt.
Die Mauer fällt,
lasst uns schnell hinsehen.

Dienstag, 3. November 2009

Drei Gedanken zur Struktur von Subkulturen

Der Goth von Nebenan lebt in seiner eigenen Welt - einer Welt, welche mit eigenem Kleidungsstil, Musikrichtung und Verhaltensnormen aufwartet - einer Subkultur. Die Neigung sucht die passende Nische, nur weg vom gern kritisierten "Mainstream". Jeder Subkultur ist dieses "Gegen" und "Neben" zu Eigen. Der Vergleich einer raren, dem Eigenen zugeordneten Menge gegenüber einer schwer abgrenzbaren Masse mit (kultureller) Machtposition scheint Quell der persönlicher Befriedigung zu sein und bedient zahllose Topoi von schnödem Rebell bis progressiver Avantgarde. Der dahinterstehende Gedanke ist "differenzbedingte Exklusivität" (das Zeitalter der Individualisierung lässt grüßen). Diese Differenz wird in Subkulturen jedoch nicht persönlich erarbeitet, sondern weitgehend an den Mustern und Normen der Subkultur ausgerichtet. Affirmation ist dabei wichtiger Teil der Zugehörigkeit und strukturell in Subkulturen angelegt. Gerade in der Adaption fester Identifikatonspunkte offenbart sich aber der konservative Charakterzug des Ganzen. Der Einzelne tauscht das Anonyme des kulturellen "Hauptbereichs" gegen eine beschränktere und spezialisierte, wie auch uniformiertere Alternative.

Die Durchdringung der Gesellschaft von Subkulturen lässt die Frage legitim erscheinen, ob von der eigentlichen "Hauptkultur" noch mehr übrig ist als eine in medialer Behauptung erhaltende Schnittmenge diverser Subkulturen als eigentliche orientierungstragende Elemente. Das "Gegen" einer Subkultur liefe in diesem Fall zunächst ins Leere und ließe sich umdeuten als gegen die Idee einer einheitlichen "Haupt- oder Leitkultur" gerichtet. Oder ist die "Idee" einer "Gemeinkultur" letztlich doch bloß eine Vereinfachung komplexer ineinandergreifender dynamischer Einzelsysteme mit zunehmender Vernetzungstendenz bedingt durch medielle Fotrtschritte (z.B. Internet)?

Subkulturen können auch begriffen werden als scheinbare Ausgrenzungen der Gesellschaft zur Selbststabilisierung. Das kulturpolitische Reformpotential des "Gegen" eines Individuums verliert sich dabei im akzeptierten "Neben" einer Subkultur. Dabei haben sich längst Systemelemente zur Destabilisation solcher Subkulturen etabliert, die ihrem Selbstverständnis nach noch blinde Flecken der Gesellschaft darstellen. Das Aufgreifen von Motiven und Identifikationsmerkmalen in verbreiteten Medien (z.B. Film, Literatur) macht auf die Subkultur aufmerksam und reimportiert deren Faszination als kurzlebige Trends. Die Exklusivität der Subkultur schwindet und stört damit die auf "Gegen" beruhende Identifikation. Eine Abwanderung in andere benachbarte Subkulturen oder die Bildung neuer Subkulturen ist die Folge.

Der Fall Alex W.

Der Hartz-IV-Empfänger Alex W. stach in einem Dresdner Gerichtssaal auf die Ägypterin Marwa al-Schirbini ein, tötete sie und verletzte den Ehemann schwer; nun steht er vor Gericht. Es ist ein Fall unter vielen an deutschen Gerichten. Was empören sollte ist die offenbare Unfähigkeit der Gerichtsdiener die Tat zu verhindern, mangelnde Sicherheitskontrollen die die Tatwaffe - ein Küchenmesser - übersahen oder der Polizist, welcher noch auf den schwerverletzten Ehemann der Ermordeten schoss. Leider treten diese Details hinter die erwartungsgemäße politische Aufladung des Falls zurück. Zwar geschah der Mord mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Ausländerfeindlichkeit, doch es entbehrt jeder Pietät vor dem Einzelschicksal Angeklagten und Opfer zu Symbolfiguren für Völkerbeziehungen oder gesellschaftliche Trends zu stilisieren. Doch Medien im In- und Ausland und ihre Kommentare tun genau das, missbrauchen den Fall als Diskurspunkt über Islamophobie und Kulturschranken. Nur eins tritt dabei deutlich zwischen den Zeilen hervor, nämlich das noch immer gestörte Verhältnis hierzulande zu Migration und Fremdenhass. Alles scheint plötzlich wieder präsent: Ehrenmorde, Mohammed Karikaturen, Synagogenbrände, der 11. September, Holocaust. Der verweigernde Unmut der "Nachgeborenen" trifft auf international erinnerte Schuld des "Volks der Täter". vor dem Hintergrund einer strauchelnder Integrationspolitik. Untaten gegen Untaten aufzurechnen ist natürlich von absurder Unverhältnismäßigkeit und entbehrt jedem Verständnis für die tatsächlichen geschichtlichen wie psychologischen Vorgänge. Schlimmer noch vermischt es zu differenzierende Radikalismen und verhindert in der Dämonisierung Möglichkeiten der konstruktiven Entgegnung. Es wäre zu wünschen, wenn das bestehende Medieninteresse in einer öffentlichen Aktualisierung des Kulturdiskurses in Deutschland münden würde, oder wahlweise so schnell vergeht, wie es aufgebauscht wurde. Das Alex W. einem fairen Gerichtsverfahren ausgesetzt und mit hoher Wahrscheinlichkeit für seine Tat vor dem Rechtsstaat entsprechend Bestrafung findet wird, versteht sich dabei von selbst.

Sonntag, 27. September 2009

Alle Jahre wieder (2009)

Alle Jahre wieder ist es soweit. Die Karten werden neu gemischt und alle Sünden vergeben. plebs dixit, das Volk hat gesprochen - Zeit für ein kurzes Fazit. Erst mal die blanken Zahlen: CDU 33.9%, SPD 23.0%, FDP 14.6%, Linke 11.9%, 10.7% - rekordverdächtig, insbesondere der Tiefstand von CDU und SPD, den ehemals großen Volksparteien. Regelrecht abgestraft wurden die Sozialdemokraten mit 11,3 Prozentpunkten Verlust zur Wahl 2005. Historisch ist die Wahl in Bezug auf die demokratische Struktur zu nennen, da sich mit der Linken eine fünfte Partei etabliert hat. Der Sieger steht fest, ist Gelb und strahlte mit triumphalem Lächeln in der obligatorischen Elefantenrunde alle anderen an die Wand. Warum die Deutschen in der systemgeschuldeten Finanzkriese ausgerechnet die Liberalen gestärkt haben, bleibt vielleicht das Rätsel des Abends. Katastrophal jedoch ist eine andere Zahl, nämlich die der Nichtwähler, satte 27,5%. Über ein Viertel der Bürger wurden vom matten Wahlkampf nicht erreicht oder zogen es vor der Demokratie ihre Stimme zu enthalten. So ist das Ergebnis der Wahl auch zu lesen als Vertrauensverlust aller Parteien (pikant in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet Guido Westerwelle noch am Abend auf journalistische Nachfrage bekanntgab kämpferisch formulierte Wahlversprechen in Koalitionsgesprächen zu "verhandeln"). Ein eher geschmackloser Werbespot auf Kabel 1 gab der Wahlverdrossenheit in den letzten Tagen sogar einen eigenen Slogan: "Nichts für sie dabei?" Man mag es nun glauben.

Samstag, 19. September 2009

Vermeintlich verlorene Perspektiven

Erneut ein Amoklauf an deutschen Schulen. Der Name ist austauschbar geworden. Ich spreche mit meiner Großmutter darüber. Wie zu erwarten in ihrer Generation vermutet sie sogleich das 'Schlimmste': ["Wahrscheinlich aus dem 'Milieu' - Drogen müssen im Spiel gewesen sein - Jugendkriminelle - "sicher Ausländer"!].
Mitnichten. Wieder beweist sich, dass die jugendlichen Amokläufer meist in bürgerlichem Milieu, fern der konkreten Existenzbedrohung verwurzelt sind. "Unauffällig und ruhig" ist das neue Täterbild. Gruselig. Mein Freundeskreis ist voll davon. ["Dann sind die Computerspiele Schuld! Da sehen sie doch die Gewalt! Kino! Oder diese Popmusik!"].
Es ist schon etwas dran an der zunehmenden Darstellung von Gewalt in Medien. Der Schockfaktor zieht natürlich immer noch Käuferschichten an und Lars von Trier darf sich austoben ... und es ist Kunst; welch Wunder. ["Das kommt doch alles aus Amerika! Da fing das doch an."]
Tatsächlich muss sich die detailreiche Berichterstattung über Littleton - um den Schockzustand einer Gesellschaft zu bewältigen - in Grenzen vorwerfen lassen die Option solcher Gewalt in Jugendliche Köpfe gespeist zu haben. Schulmassakker: ein kulturelles Massenphänomen - wie die Hysterie? Die Erklärung scheint auf der Hand zu liegen. Doch es bleibt letztlich die Ratlosigkeit des Einzelnen. Sie findet ihre Entsprechung im Verhalten der Medien in gutrecherchierter Deutungslosigkeit zu verbleiben. ["Ja aber was haben denn die Kinder dann? Sie haben doch alles. Warum ticken sie denn so aus?"]
Das Problem liegt nicht in der tatsächlichen Lebenssituation, sondern in der Wahrnehmung derselben. In einem Land, das juristisch den Abschreckungseffekt leugnet und politisch sich der naturgemäß sozial-ungerechten Wirtschafts- und Bankenwelt anbiedert, während es sie formell und öffentlich geißelt, müssen die Werte für "Richtig" und "Falsch" durcheinandergeraten. Die Täter entscheiden sich bewusst für ein "Gegen", gegen ihre private Umwelt aber auch gegen die soziale Allgemeinheit. Ihre Handlungen rechtfertigen sie oft mit dem Willen, "unerträgliche Ungerechtigkeiten" zu bestrafen - als Selbstjustiz, als schnöde Rache. In "Kinder brauchen Märchen" von Bruno Bettelheim heißt es: "Wie groß die (...) Verzweiflung des Kindes in Augenblicken völlig hoffnungsloser Niederlage ist, erkennt man aus seinen Wutausbrüchen; sie sind der sichtbare Ausdruck seiner Überzeugung, es könne nichts unternehmen um seine 'unerträglichen' Lebensverhältnisse zu verbessern." Die Welt, die Umwelt und auch jene Parteien, die in einer Woche zur Wahl stehen erreichen sie nicht mehr. Auch mehr Schulpsychologen werden daran nichts ändern. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Beendet wird sie erst mit einem großen Umdenken werden.

Dienstag, 15. September 2009

Die eigene Zeit

Manchmal erscheint es unendlich langsam, wie die Zeit dahin quillt. Tage wiederholen sich, Stunden scheinen träge nie an einem vorbei ziehen zu wollen und in einer Handvoll Minuten glaubt man ein halbes Leben verlebt zu haben. Dann gibt es Tage in denen die Zeit einem durch die Finger rinnt unaufhaltsam wie feinstkörniger Sand. Kaum ist man aufgestanden, legt man sich schon wieder nieder und hat doch nicht mehr getan als an anderen Tagen in wenigen Augenblicken. War ich vorgestern nicht erst fünfzehn und trank einen Tequila Sunrise, abends auf den Kanaren, während ich an das Mädchen mit dem grauen T-Shirt dachte, das am Pool lag und las? War ich gestern nicht erst im Blumenladen in meiner Heimat, ungeduldig wartend auf den Strauß für den Abschlussball und in Gedanken beim Lächeln, das der Dank dafür sein würde? Zeit ist subjektiv; doch scheint mir zunehmend als unsichtbarer hämischer Feind, niemals großzügig genug und niemals schnell genug vorbei zu sein. Wie (vielleicht) Marcel sich wohl gefühlt haben mag, als er am Ende seines fiktiven Lebens zum Schreiben in Retrospektive fand? Was anderes ist selbst dieses Blog als eine Hilfe zur Einteilung meiner erlebten Zeit in Momentaufnahmen aus Sprache vor einem gedachten Publikum. Einzig das tägliche Rauschen des Radios und das Geplapper der Nachrichten gibt einen zwingenden Takt vor: Finanzkriese, Bundestagswahl, Januar, September, gestern, heute. An den kleinen Schrecken und großen Ungerechtigkeiten erahne ich das Drehen der Welt, das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit.

Dienstag, 18. August 2009

Schon wieder Rekorde...

Usain Bolt hat schon wieder einen 100 Meter Lauf gewonnen. Doch nicht irgend einen, sondern den Lauf der Leichtathletik-WM 2009 und nicht irgendwie, sondern mit Weltrekord von 9,58 Sekunden. Das entspricht 44,72 Km/h mit leichtem Rückenwund und erweitert die Vorstellung vom Menschenmöglichen. Natürlich ist Bolt ein Ausnahmetalent, doch die fast selbstverständlichen Zweifel in einer Zeit der Dopinskandale nagen an seiner herausragenden Leistung. Die Unschuldsvermutung scheint spätestens seit Jan Ulrich nicht mehr zu gelten. Der Leistungssport hat endgültig das saubere Image eingebüßt, so dass sogar Einzelne wie Robert Hartings frustriert überlegen "ob es nicht besser wäre, Doping in irgendeiner Form zu erlauben." Doch das Problem ist fundamentalerer Natur: im antiken Griechenland zählte - sofern wir wissen - der Wunsch mit der Leistung des Einzelnen den Göttern zu gefallen. Heutzutage freilich sitzen die 'Götter' vor den Fernsehern und im Stadion und suchen narzisstische Bestätigung der eigenen Spezies in den erbrachten Leistungen einiger herausragender Vertreter. Dabei ist Usain Bolt nicht bloß ein begabter Läufer, sondern ein professionell 'gemachter' Superathlet mit einem Stab an Trainern, Beratern und Managern. Längst zählt nicht mehr nur der Mensch an sich. Die naive Illusion eines 'Helden aus eigener Kraft' muss enttäuscht werden. Leistungssport bietet nicht mehr die Attraktivität einer vermeintlich 'ehrlichen', anachronistischen Gegenwelt zur vermeintlich 'unehrlichen' Gesellschaft und ihrer Querelen in Politik, Wirtschaft und Medien. Es ist nicht weniger als diese grundlegende Verunsicherung, die im Zweifel an Bolts Leistung zum Ausdruck kommt und im Dopingstreit ihr Ventil findet.

Zusatz: Nur, weil ein Ideal nicht gelebt wird, heißt das noch nicht, dass es abzulösen ist. Der Anschein von "Ehrlichkeit" und "Fairness" muss schon um seiner selbst willen verteidigt werden. Es zählt also weniger die Tatsachen des Dopings, als dessen kulturelle Bewertung. Jene, die eine Legalisierung des Dopings fordern, fordern damit die Bestätigung einer Doppelmoral, welche mit Gesundheitsprodukten wirbt und gleichzeitig die Gesundheit der eigenen Athleten mit Medikamenten riskiert. Gerade der Sport aber in seiner sozialisierenden Sonderfunktion für Jugendliche, muss davor geschützt werden.

Donnerstag, 13. August 2009

Das scheinbare Aussterben des gemeinen Menschenrechtlers

Es passiert in Kenia, Tschetschenien, Birma, China oder Russland. Der "gemeine Menschenrechtler" verschwindet von den Straßen dieser Welt. Ein ganz besonderes 'Fehlverhalten' führt zu seinem Niedergang, nämlich der Mangel an Anpassungswillen an seinen zunehmend unverhohlen feindlichen Lebensbereich. Gerade in Auflehnung gegen die Missstände seiner erlebten Umwelt wird ihm seine überdurchschnittliche Intelligenz, Mut und soziale Verantwortung zum Verhängnis. Sein unbeirrbarer Glaube an die Menschenrechte als kulturelle Errungenschaft verliert in der Realität den Kampf gegen anachronistisch anmutende Gewalt, religiösen Fanatismus und machtpolitischen Willen. "Ja, aber warum wehrt sich der Menschenrechtler nicht?", mag ein naiver Hobbybiologe fragen. Die Antwort ist fatal: Weil er aus Überzeugung bereit ist sein eigenes Leben im Dienst für die Zukunft seiner Artgenossen zu riskieren, ja selbst jener, die ihm heute noch Feind sein wollen oder es einfach nicht besser wissen. In seinem eigenen Schicksal vollzieht sich eine Begegnung von Zivilisation und Barbarei. Sein scheinbares Aussterben markiert Deutlich felltragende Keulenschwinger in einer Zeit, in der allein Anzug getragen werden will, für den schönen Schein und die ausländischen Investoren. All jenen modernen Barbaren hält er einen Spiegel vor und zeigt ihnen deutlich, was sie zu opfern bereit waren und ist ihnen deswegen so unbequem, so feind, ja so natürlich verhasst. Doch zum Schluss ein wenig Hoffnung: der Menschenrechtler lässt sich nicht Ausrotten, noch wird er Aussterben, wie auch Verstand und Mitgefühl nicht verschwinden werden, nicht verschwinden können, wenn der unwahrscheinliche Fall nicht eintritt und der Mensch an sich nicht zurückkehrt in jene Zeit von Feuer und Höhlen. Dankbarerweise wächst und lernt sein Nachwuchs in Ländern, in dem er unter Artenschutz steht.

Mittwoch, 29. Juli 2009

Der Reiz fantastischer Exklusivität

Harry Potter hat es, Frodo Beutlin hatte es bereits vor ihm und auch Bella Swan scheint reichlich damit gesegnet. Ob es darum geht den bösen Voldemort zur Strecke zu bringen, ganz Mittelerde auf einen Schlag zu retten oder nur den glitzernden Vampir der eigenen Träume zu finden, die Rede ist vom großen Wink des Schicksals. Moderne fantastische Literatur muss sich den Vorwurf gefallen lassen, kaum Geschichten ohne dieses spezielle Etwas zu fabrizieren, manchmal mit mehr, manchmal mit weniger starkem Aufguss einfallsloser Schemata. "Man muss sich halt darauf einlassen", doch das wahre Leben der meisten Leser sieht anders aus: leicht angeknackste Familie, durchwachsene Jugend, Minijobs und Praktika, Schulabschluss, Ausbildung oder Studium, vielleicht ein oder zwei spannende Hobbys; die wenigsten Lebensgeschichten erheben sich über diese langweilige Durchschnittlichkeit. Was Frodo, Harry und Co bieten, ist Teilhabe an ihrem Auserwähltsein für die Dauer der Lektüre (oder bis zum Abspann des Films,) Streicheleinheiten fürs das Ego ihrer Rezipienten, fiktive Exklusivität. Zurück bleibt die unausgesprochene Hoffnung selbst einmal im Fokus jenes irrationalen Glücks zu stehen; derselbe Mythos den auch Castingshows, Trendscouts oder die Lotterie zu eigenen Zwecken fleißig befeuern. Auf dem Papier erbt Frodo Beutlin den einen Ring, Bella Swan einen unwiderstehlichen Duft für benachbarte Blutsauger und auch Harry Potter bekommt die berühmte Blitznarbe in die Wiege gelegt. Der Wille unerklärlicher höherer Macht ersetzet den modernen Leistungsgedanken und bildet eine anachronistische Gegenwelt zum erlebbaren Alltag, beherrscht von finanziellen Kriesen und ermüdendem Wahlkampfgerangel. Vielleicht ist dies Teil der Erklärung für die anhaltende popularität jener Werke. Doch anders als den Märchen von einst fehlt ein die Leserwelt bereichernder Transfer, die "Moral der Geschicht", stattdessen muss die der Fiktion innewohnende vermeintliche 'Lehre' in der Wirklichkeit scheitern. Der großen Masse aller Leser werden weder Reichtum, Ruhm noch privates Glück zufallen, solange sie nicht bereit sind unaufgefordert und unausgewählt Eigeninitiative zu zeigen. Im Vorteil scheint nur, wer die Welten auseinanderzuhalten weiß.

Mittwoch, 24. Juni 2009

Iran und die Demokratie

Hoffnung und Erwartung internationaler Medien stimmten noch vor einem Monat überein, dass Mir Hussein Mussawi Präsident der Republik Iran werden könne. Nach dem 12. Juni und den deutlichen 62,6 zu 33,8% aller Stimmen blieben nur Reaktionen gelähmter Ratlosigkeit. In Blogs und Foren traute man Mahmud Ahmadinedschad, den Ayatollahs, ja "den Iranern" im Allgemeinen, alles zu. Was weiß man nicht alles über das fundamentalistisch repressive System von CNN, über unterdrückte Weiblichkeit aus Persepolis, über eine Gesellschaft in Erstarrung aus Nasser Refaies "Sobhi Digar"? Doch dann begannen die Demonstrationen, zogen von den Straßen über Mattscheiben, Sendemasten und virtuelle sozialen Tummelplätze hinein in das Bewusstsein europäischer Öffentlichkeit. Ein neues Iranbild lässt sich erahnen, das Bild eines Landes im Kampf auf der Straße. Und der Europäer, der Amerikaner, der Weltbürger demonstriert mit, ist mit dem Herzen dabei, in Teheran, live dabei direkt neben Neda Soltani und hält buntbemalte Transparente trotzig den Wahlbetrügern, den Unterdrückern, entgegen (im Kopfkino und ganz ohne Riskiko, versteht sich). Ja, im Iran weht der Wind junger Demokratie mit Inhalten, Zielen, Werten und mit einem klaren "gegen". Erst Obama, dann der Iran, dann die ganze Welt? Gemach! Der Wächterrat wäre auch bei einem Machtwechsel unangetastet geblieben. Die Verflechtung von Politik und Religion, wird (eine blutige Revolution ausgenommen) auch in Zukunft den Iran bestimmen. Vielleicht ist das einzige, was sich ändern wird, die Fremdwahrnehmung des Landes. Doch auch dies ist in jedem Fall zu Begrüßen.

Sonntag, 7. Juni 2009

Stille

Gänsehaut erfasst mich, als ich Elie Wiesels Rede lese, gehalten vor Barack Obama in Buchenwald. Der Ort an dem der Vater starb. Vielleicht der Ort an dem unser aller Vater starb. Celan drängt sich wieder empor. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, das ist unbestritten. In klaren Worten redet Wiesel über Ihn, über Ungerechtigkeit, Krieg und Verantwortung. Seine Sprache berührt, spricht Gedanken aus, die mehr sind als die Gedanken eines einzelnen, so als klängen die Toten selbst in ihnen mit.
"Die Zeit ist doch gekommen. Es reicht doch. Es reicht. Wir wollen nicht mehr auf Friedhöfe gehen. Es reicht. Es gibt genug Waisen, es gibt genug Opfer."
Die gibt es. Kambodscha, Ruanda, Dafur, Bosnien. Und täglich kommen mehr dazu. Hoffnungsvoll aber mahnend endet die Rede vor dem neuen Präsidenten der Hoffnung. Doch die entscheidende Frage hat Wiesel schon in ihrer Mitte gestellt.
Wird die Welt je lernen?
Wird der Mensch je lernen? Ich denke nicht, dass Wiesel das denkt. Ich denke nicht, dass Obama das denkt und auch ich denke das nicht. Die unausgesprochene Antwort auf diese Frage wird zu einer bleibenden, unangenehmen Stille ...

Wahltag

Es ist irgendwann im Juni. Der Tag der Europawahl. Der Tag an dem die Demokratie sich demokratisch gibt. Der Tag an dem wir alle Deutschland sind und Europa sein sollten. Schon Wochen davor warben plumpe Fernsehspots und die obligatorische Zettelflut verhalten für die eigene, umso deutlicher gegen alle anderen Parteien. Medienpräsenz nach amerikanischem Vorbild sucht man vergebens und stößt allenfalls auf einen altbackenen "Wahl-O-Mat", der höchstens Hausfrauen ab vierzig vom Hocker reißt. Östlich des großen Teiches haben Begeisterung und Leidenschaft im Wahlkampf offenbar nichts verloren. So bleibt die Wahl bürokratischer Pflichtgang, den man pünktlich zwischen dörfischer Sonntagsmesse und Mittagstisch im Stammlokal erledigt. In weltmännischen Sonntagsanzug schwingt manch einer dann große Worte bevor er zugibt, doch gewählt zu haben, was man immer schon wählte und auch die Eltern noch wählten. Und dann wird Spargel gegessen und über Sport geredet und Bier getrunken mittags um eins.
Vielleicht sollte man dankbar sein, dass Bürger überhaupt den Weg in die Wahllokale und an die Wahlzettel finden. Über drei Seiten ist dieser diesmal lang und zeugt - insbesondere in Bereich der kleineren Parteien - von politischer Orientierungslosigkeit zwischen spirituellem Mumpitz und hippem Spaßprotest. Die Wahlbeteiligung wird eigene und noch deutlichere Worte sprechen. Die Parteien sehen das eher gelassen und werten die Prozentpunkte am Ende als Stimmungsbarometer für die kommende Bundestagswahl. Internationale Verantwortung beugt sich unter nationales Machtgehabe und am Ende scheint Europa nicht mehr als ein diplomatisches Spiel inmitten der Krise. Kopfschüttelnd mache ich mein eigenes Kreuz in der grauen Wahlkabine. Wie jeder an diesem Tag entscheide ich mich für ein Leid von vielen in Zeiten der Cholera.

Dienstag, 26. Mai 2009

Der Preis des ewig Neuen

Manche Menschen gehen durch den Supermarkt und fixieren die Tinte auf ihrem Einkaufszettel um alles, aber nur nicht verleitet zu werden. Andere Menschen wollen gerade dies, verleitet werden und suchen in den Reihen und Regalen nach dem Neuen, dem Unbekannten. Kann ein Einkauf nicht auch ein Abenteuer sein, der Supermarkt ein Dschungel voller Möglichkeiten? Wie groß ist die Freude zwischen Altbekanntem auf ein Etikett zu stoßen, das vollmundig einen neuen Geschmack, eine neue Erfahrung verspricht. Wegweiser wie "Neu" oder "Limitiert" sind nicht immer leicht durchschaubare Strategien der Werbeinsdustrie sondern diesen Menschen wertvolle Helfer und entlocken ihnen manches Mal Töne der überraschten Begeisterung. Kehrt der moderne Sammler und Jäger heim, wird der Schatz stolz gezeigt, im Kühlschrank exponiert drapiert und einige Zeit spannungssteigernd gelagert, bis der erlösende Moment des Ausprobierens naht. Ernüchterung folgt meist und das Spiel beginnt von neuem; doch welch Triumph zwischen all den Nieten tatsächlich etwas zu finden, was den Finder entlohnt! Irgendwo gibt es sie, diese Leitwölfe der Konsumwelt, diese Produkt Scouts, diese "Neu"junkies diese möchtegern Gourmets. Verkannt von ihrer Umwelt ist der Preis den sie zahlen oft nicht gering und stoßen auf der Suche nach den Grenzen der Produktpaletten meist weit eher auf die biologischen Grenzen des menschlichen Magens.
Einer von ihnen wirft nun das Handtuch und zieht reduziert auf Zwieback und Tee seine Bilanz: Eiscreme mit Splittern weißer Schokolade, Met im Portionsverpacktem Töpfchen, Apfel-Zwiebel Leberwurst, Gyros-Chips, Sportdrinks mit Kaffee Flavour, Chaisirup und Sojamilch ... war es das wirklich wert? Reicht die Erinnerung an all die kleinen Sensationen aus um nun die bittere Pille zu schlucken? Vielleicht tun sie das. Vielleicht ist eine Pause nötig um zu reflektieren und zu sortieren wie Grenouille in einsamer Höhle. Und vielleicht findet sich in der Erinnerung doch der Geschmack der alle anderen in den Schatten stellt und der bei der Hast nach dem ewig Neuen zu vorschnell auf der Strecke blieb...

Dienstag, 19. Mai 2009

La Lic

Disco. Mit einem gewissen Ruf. Wir fahren nach Köln hinein. Ich trage schwarz und ein rotes Hemd. Es ist zu hell für den Abend. Man merkt den kommenden Sommer. In den Bars und Lokalen sitzt man draußen. Laute flirten und scherzen. Jeder Stuhl ist besetzt, wie in einer wirklichen Stadt. Wir gehen die Straßen hinunter. und ich übersehe fast den Eingang. Er ist klein, wenig vielversprechend und noch geschlossen. Während wir vor dem Schaufenster einer Gothicboutique warten, fülle ich einen Mitgliedsantrag eines Raucherclubs aus. Ich habe kein Interesse an der ‚Wertschätzung des Tabakgenusses‘ und denke an Lungenkrebs. Als sich die Türen öffnen, setze ich trotz meines Widerwillens die Unterschrift. Ein kindlich wirkender Türsteher schaut entschuldigend und händigt uns Biermarken aus. Die Treppe führt erwartungsgemäß hinab. Der Raum ist verwinkelt, die Tanzfläche von überall gut sichtbar. Schon am Mischpult vibriert mein Magen mit den dumpfen Basstönen. Die Theke ist unten und hat den Charme einer schlecht gehenden Eckkneipe. Wir sind die ersten Besucher und die Wirtin hat noch Familie da. Ich bestelle ein paar Wodka-Kirsch. Viel Auswahl gibt es nicht. Auf einer Leinwand laufen Trashfilme.; immerhin eine nette Idee. Nach und nach füllt es sich. Die Mädels Tanzen zuerst, ich beäuge die anderen Anwesenden. Da ist der androgyne Stammgast, der sich kaum zu bewegen scheint und nur selten an seinem Glas nippt. Da ist der übergroße Blasse, dessen dürre Glieder im extralangen Ledermantel verschwinden. Da sind die zwei Frauen, deren Blicke wohl etwas mehr als bloß Unterhaltung Suchen diese Nacht. Auf der Tanzfläche tut sich derweil wenig. Der DJ wagt Stilsprünge zwischen Punk, Rock, Metal und Darkwave. An seiner Liederwunschliste steht man schon an; ein schlechtes Zeichen. Auch ich trage etwas ein, bevor ich mich zu Industrial ins Scheinwerferlicht begebe. Künstlicher Rauch hüllt mich ein. Für einen kurzen Moment vergesse ich den Tag. Schweiß, Alkohol, Musik, Rauch. Disco.

Dienstag, 21. April 2009

Sonnenlicht ...

Statusbericht.
Und es grunelt und es grünet.
Kehre aus den tiefen häuslicher Wände zurück in eine ungewohnt gewordene Welt. Habe den Frühling fast verschrieben an meiner Magisterarbeit über Goethes Divan. Habe nun vollstes Verständnis für winterschlafende Tiere. War überrascht über die grelle Wärme, hatte irrigerweise eine dicke Jacke an. Kann Koffein und Nudeln nicht mehr sehen. War ein Erdenkloß. Nehme mich selbst kaum noch wahr, meide festlegende Pronomen in Sätzen. Habe eine Abneigung gegen Bildschirme entwickelt. Mag Goethe sogar immer noch. Kluger Kerl. Brauche drinend Sport, am besten Schwertkampftraining fürs Körpergefühl. Habe sicherlich tausend Dinge vergessen die letzten Wochen. Natur gehört dazu. Muss das nachholen. Duftet bereits wie von alters. Heiße mich selbst wilkommen zurück. Das Leben schweigt ja für gewöhnlich.

Dienstag, 17. März 2009

Schlecht kopiert ist halb verloren ...

Vorweg: Coverversionen an sich sind logische Entwicklungen moderner Kopierbarkeit und haben nicht zufällig ihre Blüte mit Aufkommen des computerunterstützten Samplings zu Beginn der 1990er. Auch finden sich in der modernen Musik zahllose Beispiele von Neuinterpretationen, die ihre Vorbilder in Qualität und Popularität übertrafen; so etwa Janis Joplins "Me and Bobby McGee" (orig. Kris Kristofferson) oder das großartige "Hurt" von Johnny Cash (orig. Nine Inch Nails). Denen gegenüber steht jedoch eine Masse schnell produzierter Covermusik, die allein auf den Wiedererkennungswert eingängiger Melodien setzt.
Nachdem ich irrigerweise glaubte (wohl eher hoffte), der Trend habe nachgelassen, wurde ich jüngst, bei einem Ausflug in die Popmusikcharts, eines Besseren belehrt. Zwei Gegenbeweise fielen mir besonders auf: "Eisblumen" von Eisblume (sehr einfallsreich!, orig. Subway to Sally) und "Unforgiven" von Stefanie Heinzmann (orig. Metallica). Die durchaus bekannten, 'härteren' Vorbilder aus dem Goth-Rock bzw. Heavy Metal Bereich wurden um 'unbequeme' Instrumente wie E-Gitarren gekürzt und vor charakterlosen Popbeats von klaren Mädchenstimmen vorgetragen. Die aggressive Werbung über soziale Netzwerke (Facebook etc.), Fernsehwerbung und Talentshows ergänzt das Bild der dahinterstehenden, wohlkalulierenden Musikindustrie. Die Auswahl der Originale und die Gestaltung der Videopräsentation zeugt von zunehmender Popularisierung ehemaliger Randgruppen wie z.B. Emo oder Gothic. Allerdings verlieren die Songs gerade durch den Zuschnitt auf Massenwirksamkeit ihren rauen Charme. Insbesondere die unveränderten kritisch-düsteren Texte wirken vor dahindümpelndem, heiteren Popsound entschärft und inhaltsleer: "throughout his life the same / he's battled constantly / this fight he cannot win / a tired man they see no longer cares / the old man then prepares / to die regretfully / that old man here is me." Gekauft wird freilich trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen; wenn immerhin noch der Text soviel mehr ist als der chartstürmende Einheitsbrei voll trennungsschmerzgefüllten Belanglosigkeiten. Trotz aller Verfremdung ist die Größe der Originale durch den Text erahnbar. Es bleibt zu hoffen, dass einige Hörer zu eben jenen zurückfinden werden.

Samstag, 14. März 2009

Counterstrike ist kein Cervantes!

In Nachwirkung des Amoklaufes von Winnenden kursieren im Internet zahlreiche Erklärungsversuche. Auch sogenannte "Killerspiele" stehen erneut auf der Anklagebank. Und wieder finden sich in Talkshows und Interviews die altbekannten gegensätzlichen Positionen: das bildungsbürgerliche Unverständnis über das Medium "Videospiel" und der intuitive Protest von Konsumenten, die sich einer verallgemeinernden Vorverurteilung ausgesetzt sehen. Doch, wenn Militärs virtuelle Simulationen zum Training wirklicher Kampfeinsätze verwenden, muss man zumindest von der 'Einübung von Szenarien und Bewegungsabläufen' sprechen. Der Trend zum digitalen Fotorealismus lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit weiter verschwimmen. Nicht abzustreiten ist das hohe Maß an Gewalt, das in modernen Videospielen affirmiert wird.
Don Alphonso stellt in seinem Faz-Blog "Stützen der Gesellschaft" im Beitrag "Rilke, Voltaire und Amok" (12. März 2009) Videospielen ein anderes Medium, das des Buches gegenüber. Auch dort sind Schock und Skandal alte Bekannte, denkt man an Baudelaires "Les Fleurs du Mal", Gottfried Benns Gedichte oder Elfriede Jelineks "Lust". Doch während die Literatur auf eine Jahrtausend alte Tradition zurückblickt, sind Videospiele kaum ihren Anfängen erwachsen. Selbst, wenn der digitalen Präsentation eines "BioSchock" oder "World of Warcraft" eine gewisse Ästhetik zumessen werden kann, bleiben sie ganz im Unterhaltungswert verhaftet. Hat das Medium also sein Potential nur noch nicht entdeckt? Schränkt die Verpflichtung zur Interaktivität die Möglichkeiten künstlerischer Komposition zu sehr ein? Die Lösung ist einfacher und lässt den Vergleich hinken: Letztendlich sind Videospiele allein der kommerziellen Ausrichtung einer schnelllebigen Industrie unterworfen. Dass dabei der Kundengeschmack nicht vernachlässigt bleibt, ergibt sich von selbst. Es ist also vielmehr zu überlegen, ob digitale Gewalt nur ventilhafter Ausdruck einer Zeit ist, in der alltägliche Gewalt nur noch durch vereinzelte Extremata - wie Amokläufe - ins Sichtbare des abgestumpften öffentlichen Bewusstseins treten.

Mittwoch, 11. März 2009

Von der Feigheit extremer Gewalt

Eric David Harris aus Littleton und Sebastian B. aus Emsdetten hatten vieles gemeinsam. Sie waren Kleinstädter, Außenseiter, unauffällige Jugendliche des Mittelstandes und mehrfache Mörder. Seit gestern erweitert sich ihr Kreis um Tim K. aus Leutenbach. Wie bereits 1999 und 2002 überbieten sich die Medien in ihren Reaktionen vor allem in Betroffenheitstopoi, Schuldvermutungen und blutigen Details und riskieren dabei bewusst Nachahmungstaten. Dass Tim K. mit einer 8mm Baretta aus dem Besitz seines Vaters schoss, und dieser als Sportschütze 14 weitere davon in der Wohnung deponiert hatte, weiß nun ganz Deutschland. Auch, dass Tim K. einen 41-Jährigen VW-Fahrer dazu zwang ihn über die Bundesstraße 313 Richtung Wendlingen zu fahren, wo er nach einem Verkehrsunfall und einem Zwischenstopp in einer Niederlassung des VW-Autohaus Hahn kurz nach 12 zwei Polizisten anschoss. Wahrscheinlich werden sie alle Bücher darüber schreiben.
Die Opfer sind wahllos: Schüler, Lehrer, Referendare, Passanten, Autohaushändler, Autohauskunden. Der Stempel Amoklauf folgt auf dem Fuße. Tim K.: ein Name wie aus Kafkas Romanen. Doch im Gegensatz zu Josef K. war er kein unschuldiges Opfer eines grausamen sozialen Systems. Weder Videospiele, noch dunkle Kleidung, erduldetes Mobbing, Zugang zu Waffen, Isolierung oder bestimmter Musikgeschmack machen sein Handeln erklärbarer. Allgemeinen Lebensfrust und Außenseitertum gab auch schon vor „Give a Boy a Gun“ von Morton Rhue. Tim K. war kein defektes Zahnrad einer größeren, versagenden Gesellschaftsmaschine, die ihn nur hätte 'finden' und 'reparieren' müssen oder am besten gleich die 'Wartungsbedingungen' richtig einstellen. Nein, Tim K. war ein grausamer Täter, ein Mörder, der es vorzog in einer ausgelebten Gewaltphantasie über 14 Menschen zu ermorden anstatt sich seinen alltäglichen Problemen zu stellen. Das ist unglaublich feige. Wer glaubt aus diesem Leben ausscheiden zu müssen, der kann das auch im Stillen tun. Eine solche Tat zeugt vielmehr von tief verwundetem Narzissmus und dem Geltungswillen einmal wichtig zu sein; und sei es auch nur im Tod anderer. Herostratos zündete 356 v. Chr. den Artemistempel zu Ephesus an um bekannt zu werden. Heute reicht es immerhin für einen knappen Eintrag bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_von_Winnenden .

Donnerstag, 5. März 2009

Eine Verteidigung des Buches gegen seine Neider

Das Buch kann auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte zurückschauen. Seine frühe Vorform ägyptischer Papyrusrollen wurde im antiken Rom durch Mittelheftung verbessert und im 14. Jahrhundert mit dem Wechsel von Papyrus zum Papier und dem gutenbergschen Reproduktionsverfahren perfektioniert. Welchen Lesefreund ergreift nicht eine liebevolle Stimmung, wenn er an die Wiegendrucke des 15. Jahrhunderts denkt, oder an die eigene Initiation in diese wundervolle Nebenwelt des Lesens mit Bilderbüchern und Jugendromanen? In Buchläden, Lesezirkeln und auf Messen finden sich täglich Liebhaber und Interessierte, die das Buch in seinem eleganten Design schätzen und nach seinem unübertroffenen geistigen Nährwert hungern. Und doch hat der Literaturbetrieb aus seinem Gegenstand mehr gemacht als einen Verbund von 49 Seiten. Gérard Genette hat 1987 in seinen "Seuils" all die kleinen Besonderheiten und Beiwerke des Buches beschrieben und auf ihre Wichtigkeit für den Lesevorgang hingewiesen. Es sind Konventionen - kulturelle Codes - die Aufmerksamkeit wecken, richtiges Lesen anleiten und untrennbar zum Gesamteindruck Buch dazugehören, ohne jedoch dessen geniale Schlichtheit zu beeinträchtigen.
Doch der technikabhängige Mensch des 21. Jahrhunderts glaubt seine vielleicht größte Erfindung revolutionieren zu können. Er schafft einen "
E-Book Reader", einen kleinen Kasten ohne jeden Charme und rühmt dessen umfangreiche 'Speicherkapazität', als sei Größe das einzige, was zählt. Doch dessen haptische Eigenschaften enttäuschen. Seine Nachahmung des Seitenumblätterns wirkt wie eine schlechte Raubkopie. 'Elektronische Tinte' soll die Augen schonen, doch sie kann nicht über das Fehlen von echtem Papier hinwegtäuschen, was sich unnachahmlich zwischen Leserfinger schmeichelt. Zeiteffizientes Blättern wird zu zeitintensivem 'Scrollen', geliebte Leseecken und Flecken lässt es erst gar nicht zu und will ich einen Text verleihen, geht gleich die ganze Bibliothek mit. Verschlimmbesserungen, allesamt. Einen Markt wird dieses Produkt trotzdem finden. Auch ich bin im Digitalzeitalter aufgewachsen und mache so einige Fortschrittswirren mit, von Kassette zu CD zu Mp3 zu Flac, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch muss ich zugeben, dass der elektronische Text noch in den Kinderschuhen steckt und eingestehen, dass ja auch dieser Text ein elektronischer ist. Auch mag für reisende Kreative, Autoren und Professoren eine Digitale Bibliothek zum Nachschlagen ganz nützlich sein. Doch abends liegt auf meinem Nachttisch noch das wirkliche Original, und gemeinsam verweigern wir uns dem vermeintlichen Fortschritt ... zumindest in diesem Bereich. Man muss ja nicht alles Digitalisieren. Digitale Zuneigung? Digitales Glück? Digitales Buch? Nein, Danke.

Dienstag, 3. März 2009

Virtuelle Kritik

Das Internet: unendliche soziale weiten. Wir schreiben das Jahr 2009 und ganz Deutschland chattet, bloggt, facebooked und twittert, was die Anglizismen hergeben. Verlockend ist dabei insbesondere der Anschein des letzten Freiraums in der weitgehend anonymen Virtualität und das stumme Versprechen von irgendwie gearteter Wichtigkeit in 'social communities'. Man ist jetzt nicht mehr nur 'Surfer', man ist jetzt 'Profil'! Schließlich will man den Beweis antreten, dass Stanley Milgrams "small world phenomenon" recht behält und jeder jeden um sechs Ecken kennt. So findet sich soziale Bestätigung vor allem in digitalen Nischen wie Fanforen oder über wenig aussagekräftige Freundeslisten. Wird das Wort Freundschaft dadurch auf Dauer eigentlich sinnentleert?
Scheint das Web 2.0 als neue Geldgrube der IT-Branche auch gescheitert, erfreut es sich bei Usern stetig wachsender Beliebtheit. Im vagen Raum der Öffentlichkeit hat sicherlich der Wahlsieg des demokratischen Kandidaten Barack Obama in den vereinigten Staaten das letzte Eis gebrochen. Dieser hatte mit seiner Website (www.barackobama.com) erfolgreich Stimmen- und Spendenfang betrieben und sich den Beinamen 'digitaler Präsident' redlich verdient. Doch es mehren sich auch die Generationen, welche den Teddy im Kinderzimmer durch Videogames ersetzt haben und Computer so selbstverständlich bedienen wie Türen oder Toaster. Längst urbane Legenden geworden sind die Zahlen der Beziehungen aus Internetbekanntschaften oder der Prozentsatz der Jugendlichen, welche nicht glauben ohne virtuelle Medien leben zu können. Das Schlagwort 'Medienkompetenz' geistert durch das deutsche Schulsystem während die ältere Lehrergeneration noch immer treu zu Kreide und Schwämmen steht. Auch an deutschen Universitäten kommt nichts als betretene Stille auf, wenn der hochgeschätzte Professor angesichts eines "Antivir-Update" seine Präsentation mit Sorgenfalten auf der Stirn unterbricht und seine Ratlosigkeit ans Publikum weitergibt: "Was soll ich denn jetzt drücken?".
Doch die nächste digitale Evolutionsstufe wartet schon auf uns. Der Autor Gerd Leonhard entwirft in seinem Beitrag "MySpace-City" auf zeit.de eine Vision davon, in der virtuelle Netzwerke realörtliche Ballungszentren ersetzen und die Stadt als solches nur noch Life-Style-Wert besitzt. Die Gesellschaft des Menschen erlebt einen Strukturellen Wandel, wie seit dem Mittelalter nicht mehr.
Einen Vorgeschmack erleben wir schon jetzt: Nutzgeräte werden zu kommunizierenden Einheiten, das Handy zur Allzweckelektronik mit Funktionen von Videokamera bis Spielekonsole. Flächendeckender WLAN-Zugang ist eine reine Frage der Zeit. Der Philosoph Peter Sloterdijk schreibt in seinem Werk "Sphären II - Globen" gar von einer "Raumkrise". Doch nur ein Narr würde glauben, es gäbe zur fortschreitenden Digitalisierung und Technisierung der Welt eine praktikable Alternative. Eine kritische Betrachtung - als Wahrnehmungshaltung verstanden - tut jedoch in jeder Hinsicht Not und sei es nur um nicht auf kurzlebige Trends reinzufallen. Dem Ästheten bleibt zu hoffen, dass die Miniaturisierung eines Tages zur Unsichtbarkeit der ganzen futuristischen Leitungen, Kabel und Antennen führt und zumindest den Augen Erleichterung verschafft. Bis dahin trösten mich die Gedanken daran, dass man auch in neuen Medien Beständigkeit finden kann: Heute wie vor 10 Jahren dient das Internet hauptsächlich Sex und Kommerz. Immerhin handelt es sich dabei um die beiden Grundbedürfnisse des modernen Menschen. Das ist doch was!

Sonntag, 1. März 2009

Die Langeweile der Erklärbarkeit

Eher zufällig fand "Der Illusionist (2006)" heute Abend den Weg in meinen DVD Player. Um der Notwendigkeit einer kurzen Rezension Genüge zu tun, sei gesagt, dass es sich um einen mittelmäßig guten Film handelt, dessen vorhersehbarer Erzählverlauf dem eigentlichen Sinn dieses Films entgegen läuft. Blenden und Schnitte haben mir auch nicht sonderlich gefallen, aber meine persönliche Vorliebe für den Schauspieler Edward Norton machte da viel wieder wett. Dieser spielt die Rolle des Zauberkünstlers "Eisenheim", der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wien mit seinen Illusionen unterhält.
Was mich bei Filmen wie Prestige (2006) gestört hat, wurde hier zunächst besser gelöst. Anstatt hinter die Kulissen des Magiers zu blicken, folgten Story und Kamera den Illusionen auf der Bühne. Auch ich habe mich von dem aus einem leeren Blumentopf wachsenden Orangenbaum verzaubern lassen. Ein simpler CGI Effekt, natürlich, doch als Rollenspieler gewöhnt sich in Situationen hineinzudenken, ergriff ich dankbar das Identifikationsangebot mit dem staunenden Publikum. Warum aber ist gerade dieses 'Staunen' so verpönt?
Die Rolle des in mehrfacher Hinsicht betrogenen Prinz Leopold vertritt dabei die moderne Vernunft: ein Mensch der bereit ist an jede Wissenschaftelei zu glauben, nur nicht an etwas Übernatürliches. Staunen wird in eine kindliche Sphäre verweisen und abgewertet. Doch es ist gerade eine Illusion zu glauben, ein heutiger gebildeter Mensch fiele in unwissende Unmündigkeit zurück, nur weil er Freude am Staunen findet. Nein, es ist etwas anderes, was Erklärungen so zwingend werden lässt: Die heutige Welt ist überzeugter denn je vom Stand ihres Wissens, ganz ähnlich der Epoche des Fin de Siécle. Alejo Carpentier Einschätzung im Vorwort von "El reino de este mundo" von 1949 scheint in leicht abgewandelter Formulierung noch Gültigkeit zu haben: 'In der europäischen Kultur ist kein Platz für das Wundersame', denn schon der kleinste Funke Magie lässt an der ganzen errungenen Ordnung zweifeln. Im Film breitet sich nach den vermeintlichen Totenbeschwörungen von Eisenheim Revolutionsstimmung im Volk aus. Es zeigen sich Gefahr und Möglichkeit Ebenen zu verwischen, Dogmen zu hinterfragen und mit Konventionen zu brechen. Das Aufklärende Ende entpuppt dabei leider die fade Konstruktion. Schade, denn gerade Kunst lebt von jenen neuernden Grenzüberschreitungen und gerade der Film an sich hat sich seit der Faszination seiner Kindertage zu sehr vom Wundersamen und vom Staunen entfernt. 'Magischer Realismus' eines Salman Rushdie wäre in dieser Hinsicht interessanter gewesen.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Wachsamen Auges ins Ungewisse

"Die Wirtschaftskrise in der Euro-Zone eskaliert: Die Industrieproduktion ist Ende 2008 so stark eingebrochen wie nie zuvor - die EU-Kommission zeigt sich bestürzt vom Ausmaß und Tempo der Verschlechterung. Volkswirte erwarten nun neue Absatzeinbrüche und Stellenabbau." (Spiegel-Online, Artikel http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,607219,00.html, 12. Februar 2009)

Wieder sind die sogenannten 'Experten der Finanzwelt' erstaunt über den Unterschied von Wirklichkeit und Erwartung. Doch auch der kritische Betrachter muss zugeben, dass die Lehrbücher schon längst keine Antworten mehr liefern. Die Wirtschaftskriese, dieses aus - systematischer Verantwortungslosigkeit geborene und in den Medien getaufte - Monstrum wächst noch immer. Dankbarerweise halten sich all die Weisen, welche noch im Juli 08 den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen nun bedeckt und auch führende deutsche Bankmanager haben verstanden, dass bei der aktuellen Stimmung turbokapitalistische Töne eher unangebracht sind. Doch der Verzicht auf Prämien und Bonuszahlungen (z.B. der deutschen Bank) ist nicht mehr als eine symbolische Geste, wo schon die bisherigen Konjunkturpakete kaum Auswirkungen zeigten. Proteste gegen den massiven Staatseingriff scheinen verstummt. Namhafte Medien zitieren zwar ab und an die hübsche Abkürzung "Stamokap" und kritisieren vorsichtig den auflebenden Protektionismus, doch immer nur im Nachbarland und nicht mehr ganz so beherzt, wie man könnte, wenn man wollte.
Nein, diese Wirtschaftskriese ist in eine Phase lähmenden Entsetzens eingetreten, ohne sich ihres vollen ausmaßen bisher bewusst zu sein; die Ahnung genügt. Und auch die Pleiten namhafter Firmen wie Schiesser oder Mäklin lassen einzig die Frage übrig, wen es als nächsten trifft. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Perspektiven schwinden. Die meisten Firmen spielen auf Zeit und bangen, dass die 820000000000 Dollar von Obamas Konjunkturstütze nicht ausreichen, den richtigen Impuls zu geben.
In China wartet zudem schon die nächste Blase, durch überbewertete Wirtschaft und massive Kreditvergabe. Nein, die Zeiten sind nicht gut, doch sie sind noch immer weit besser als '33 oder '13. Vielleicht sollten wir, als wohlstandsverwönte Mitteleuropäer, auch dies nicht vergessen und bedenken, dass jede Zeit der Kriese schon immer eine Chance für Extreme bot. Bleiben wir gemeinsam wachsam.

Sonntag, 18. Januar 2009

Kriegsübelkeit

Eigentlich wollte ich nicht, dass dieses Blog eine politische Note bekommt. Keine politische Stellung zu beziehen ist (wohlweißlich) unverfänglich und bequem. Doch, wenn ich dieser Tage Nachrichten lese, wird mir regelmäßig schlecht. Machen wir's kurz, es geht natürlich um Israels sogenannten "Krieg gegen die Hamas". Welche Beruhigung verspricht angesichts solcher Themen doch die geistig und zeitliche Beschäftigung mit der kriselnden Lage, des deutschen Geldes, den politischen Querelen in Hessen, den realen und allzu nahen Problemen des eigenen Alltags. Wie angenehm kann man sein Gewissen beschwichtigen, wenn man bedenkt, dass neben der Bundeskanzlerin auch der neue Hoffnungsträger Barak Obama eindeutig für Israels Sicht der Dinge plädiert. Wie nützlich ist es auf einmal, auf die sonst so unliebsame "Schulddebatte" zu verweisen und sich über deutsche Kritik an israelischen Militäroperationen zu echauffieren. Wie elegant kann man sich letztlich aus der Affäre ziehen, indem man die Möglichkeit auf Information als Grundlage zur eigenen Meinungsbildung in Zeiten eines modernen Medienkrieges per se bezweifelt. Ja, auch in Afrika sterben Menschen. Vielleicht hat man dort sogar ein Patenkind und auch Geld für einen Brunnen gespendet. Zu Weihnachten war man auch in der Kirche. Schließlich kann man sich ja nicht um alles kümmern. Dann müsste man ja gleich auf die Straße gehen. Wie soll man denn da leben? Die anderen machen doch auch nichts...

Doch jeder Blick in die Tageszeitungen erinnert, dass in Israel Menschen sterben: Israelische Zivilisten, Israelische Soldaten, palästinensische Männer, Frauen und Kinder. In Zeiten eines "war against terror" scheint es zudem einfacher geworden, jeder tote Säugling nachträglich als Kollateralschaden einer ungenauen, unsauberen aber angeblich notwendigen Kriegsführung zu deklarieren und jede Form von unmäßiger Gewalt und Grausamkeit mit Gegenbeispielen der "anderen Seite" zu rechtfertigen. "Auge um Auge", Rakete um Rakete. Seltsam wirklichkreisresistent scheint noch immer die Vorstellung eines sauberen Krieges, die Willigkeit zu Parolen von der "Verteidigung westlicher Werte". Doch Israels Feind ist kein oft zitierter Terroristenstaat auf dem Weg zur Atombombe, sondern ein als Geisel genommenes Volk vor einer humanitären Katastrophe, bewusst provoziert von einer mit westlichen Waffen ausgestatteten israelischen Militärmaschine. Europa hingegen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, absehbar unwirksame Resolutionen verabschiedet zu haben während Israel weiterhin notwendige humanitäre Hilfe blockierte, gekennzeichnete UN-Laster und die UN-Fakhura-Schule im Jabaliya-Flüchtlingslager beschoss. Je mehr man über diesen Krieg weiß, desto wahnwitziger erscheinen einem zwangsläufig seine Idee, seine Ausführung und seine Macher. Man kann nur dankbar sein, dass die westlichen Medien beginnen dem Leid der Opfer mehr Gewicht zuzugestehen und öffentlichen Druck auf die Kriegsparteien auszubauen. Dass die lang ersehnte Waffenpause gerade in jener Phase ausgerufen wird, in der die Bilder sterbender Kinder auch in israelischen Medien zunehmen, wird nur allzu verständlich durch die dort anstehenden Wahlen. Doch auf welche Weise die nun anlaufende politische Bewertung des Krieges auch ausfallen mag, einige Dinge können als nahezu sicher angenommen werden und tragen darin enorm zu meiner Übelkeit bei:

- Die Leidtragenden sind, wie immer, Zivilisten.
- Die Hamas wurde nicht vernichtet.
- Ehud Barak wird die Wahl gewinnen.
- Eine diplomatische Lösung ist ein weiteres Mal deutlich erschwert worden.
- Begangene Kriegsverbrechen werden weitgehend ungeahndet bleiben.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Der Wahnsinn der ganz normalen Welt

Es ist Mittwoch. Ich sehe aus dem Fenster auf den Hof, der noch weiß bedeckt ist. Doch der Schnee ist längst nicht mehr jungfräulich, nicht mehr weich. Über Nacht ist er zu Eis gefroren, haben sich Reifenspuren und Fußabdrücke erhalten. Ich finde ihn dennoch schön, weil er das Gewöhnliche verhüllt. Auch meine Spuren sehe ich und erinnere mich an das wohlige Knirschen unter meinen Füßen.
Auf der Straße vor dem Haus kommt bereits wieder der Asphalt durch. Streusplitt liegt auf den Bürgersteigen. Trotzdem muss ich die glatten Stufen vorsichtig hinuntersteigen. Im Bus in die Stadt wird über das Wetter geredet, welche Probleme es bringt und wann es sich denn ändert. Auf dem Fahrzeugboden bildet sich ein Matsch aus Dreck und Wasser von den Schuhen. Ich schweige und schaue lieber zu den Ästen der vorbeiziehenden Bäume, die sich unter dem Schnee biegen und ihn doch nicht abschütteln. Das Wetter lässt Menschen andere Wege nehmen. Ein älterer Herr und eine Dame kommen über Operationen ins Gespräch. Er lacht, sie kokettiert und beide trennen sich am Busbahnhof. In der Stadt geht alles seinen gewohnten Gang. Noch immer werden Weihnachtsgutscheine eingelöst. Ich esse eine warme Portion "Thom Ka Gai"; das ist asiatisch und schmeckt nach Hühnchen und Kokos. Als Überraschung gibt es frisches Maisbrot als Beilage.
Seit einer Woche führt Israel Krieg gegen die Hamas, einen sogenannten Krieg für den Frieden. Es ist die Schlagzeile des Tages. Menschen betreten den Laden und bestellen. Ich kaufe noch ein Brot für den Abend und kann mir das Leid im Gazastreifen kaum vorstellen. Ich suche in den Gesichtern der Passanten nach einem Hinweis, dass auch sie sich Sorgen machen, doch vor der aufdringlichen Werbung eines Reisebüros entgleiten mir diese Gedanken. Während ich die Neuerscheinungen im Buchladen studiere, sterben in Israel Frauen und Kinder. Eine beiläufig gekaufte DVD erzählt die Geschichte der Bartholomäusnacht. Ich betrachte die Menschen um mich und bin eigentlich gar nicht hier.
Castortransporte und Müll aus Neapel kommen ins Land. Meine Magisterarbeit geht schleppend voran. Nicht nur in Ostdeutschland erstarken die extremen Rechten. Alle schnüren Milliardenpakete. Im Kongo vergewaltigen Milizen Frauen. Ein Finanzmagazin berichtet, wie man die neusten Steuern austrickst. Kommunikationsfirmen verkaufen die Daten ihrer Nutzer. Ich sehe in einem Kaufhaus den ersten Staubsaugrobotter und denke an Huxley. Irgendwo auf der Welt dopt genau jetzt ein Spitzensportler um noch einen Sekundenbruchteil schneller zu sein und im All dreht sich ein zunehmend weniger grüner Planet um einen großen Feuerball ...

Donnerstag, 1. Januar 2009

Ein Vampir hat es heute schon schwer

Schon in der Romantik vermischten sich in der Gestalt des Vampirs Phantasien schwermütiger Dichter mit den Resten abergläubischer Volksängste und lokalem Sagentum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten Hollywood und Bella Lugosi den Glamour von weißer Schminke und schwarzem Cape. Hernach war es insbesondere die Romanautorin Anne Rice, welche durch ihre Vampirsagen in Gestalt des blonden Lestat die Verführungskünste im antiquierten Rüschenhemd unterstrich, während in Gothic Kreisen das Idealbild Vampir rebellische Lack und Lederblüten trieb. Insbesondere für die Erotikliteratur waren die Vorstellungen von penetrierendem Biss und düster-magischer Dominanz durchaus fruchtbar. In den 90er Jahren dann, fing das Rollenspiel "Vampire: the Masquerade" jenes Vampirbild ein und konserviert es noch immer. Heute, im 21. Jahrhundert wären die zahlreichen noch die überzeichnete, sonnenbrillentragende Actiongestalt eines Blade zu nennen, nebst pubertären Highschoolphantasien alla Buffy & Angel , welche Begannen neue Genrebereiche zu erschließen. Das Nachfolgerrollenspiel von White Wolf, "Vampire: Requiem", trug dieser Entwicklung Rechnung und versuchte sich wieder im Horrorgenre zu verankern, fort von romantisch seufzenden Jünglingen und Teeniegekreische hin zum erwachsenen und gruseligen Kampf um die menschliche Seele.
Nach all diesen Entwicklungen scheint der Vampir gerade in der modernen Belletristik einen neuen Nischenplatz gefunden zu haben, wo seine Interpretationen, ärgerlicherweise und in Ignoranz solch großartiger Vorlagen wie "Bram Stroker, Dracula", vor keinem Klischee halt machen. Die jungen Autoren verschlimmbessern den modernen Mythos, wo sie nur können. Angefangen bei der Unart plumper Wortspiele im Titel (z.B. "Stephanie Mayer: Bis(s) zum Morgengrauen") , über den Topos des "guten Vampirs, welcher nur von Tieren trinkt", hin zum unermüdlich beschworenen Konflikt zwischen Blutsaugern und Werwölfen. Deutlich auch ist die Ausrichtung auf eine weibliche Zielleserschaft, insbesondere in der Kombination "jugendliche, unscheinbare, weibliche Sterbliche trifft auf meterosexuelle, dunkle Ritterfigur". Es scheint eine Marktlücke gefunden; der Ausschlachtungsprozess ist im vollen Gange. Einzig der auf den ersten Blick ennervierendste neue Roman dieser Sparte (Mary Jane Davidson: Weiblich, ledig, untot") vermag, gelesen als selbstbewußte Parodie auf den wuchernden "Vampirkitsch", dann doch ein Schmunzeln zu entlocken.

Der Tag an dem ich einen wirklich schlechten Film sah

Wie konnte das passieren? "So finster die Nacht" hätte es sein sollen, der hochgelobte Vampirfilm aus Schweden, meinetwegen "die Buddenbrooks" als magenschwere Literaturverfilmung, oder aktueller denn je "Walz with Bashir"; doch der kleinste gemeinsame Nenner war wie so oft schnödes Hollywood mit dem Film "Der Tag an dem die Erde still stand", ein Remake des 1951 erschienenen Science-Fiction Klassikers von Robert Wise.
Doch was genau kann man von Poppcornkino verlangen? Sind es mitreißende Action, Bahnbrechende optische Effekte, Innovative Kamerafahrten? Machen wirs kurz, dieser Film hatte nichts davon. Dabei kann ich durchaus darüber hinwegsehen, dass das Minenspiel des Hauptdarstellers "Keanu Reeves" etwa auf dem Niveau einer Wachsfigur verblieb und die Macher nicht mit Nebelmaschinen und Logikfehlern sparten. Was den Film in meinen Augen zu einem Anwärter auf die goldene Himbeere macht, ist die miserable Übertragung der Vorlage in die heutige Zeit. Die in den Sechzigern durchaus gegenwärtigere Bedrohung durch "die Bombe" wird ersetzt durch esoterische Worthülsen eines "Scheidepunktes der Menschheit", welche mit viel Phantasie einen Bezug zur Klimaproblematik erahnen lassen. Der klassische Roboter verwandelt sich zeitgemäß auch brav dann in Nanoinsekten, die in Schwärmen alles Menschenwerk und die Menschheit gleich mit auffressen. Noch kunstloser jedoch gab sich die Auflösung des Films, bei der der maskierte Alien Reeves bzw. Klaatu der Versöhnung zwischen einer rebellischen Forscherin und ihrem den Film über eh nervigem Stiefsohn beiwohnt, dadurch eine angeblich "erhaltenswerte Seite" der Menschheit erkennt und die große Vernichtung kurzerhand abbläst. Hier spart Hollywood nicht an halbgaren Klischees samt halbherziger Umsetzung. Hand aufs Herz, selbst die schlechteste Liebesgeschichte hätte diesem Streifen noch gut getan.
Was bleibt sind allein die Fragen, die - heute so aktuell wie 1951 - kaum an Provokanz verloren haben: Wofür wäre die Menschheit in einer ähnlichen Situation erhaltenswert? Was könnten wir einer überlegenen Spezies oder einer anderen Richterinstanz vorweisen? Würden Beethoven, Shakespeare und Da Vinci genügen? Und schafften wir es doch noch, uns in nuklearem Supergau auszulöschen, wären eine amerikanische Flagge auf dem Mond, ein paar Satellitentrümmer in der Umlaufbahn und ein einsamer Forschungsrobotter auf dem Mars die einzigen traurigen Spuren des ach so fortschrittlichen Menschengeschlechts.