Donnerstag, 25. Dezember 2008

Deutschsein

"Er hat immerhin Straßen gebaut und für Arbeit gesorgt", höre ich mit der Stimme meines Großvaters einen eben jener Sätze, welche mir kalt den Rücken hinab kriechen. Es sind diese Gedanken, gegen die Paul Celan mit seiner Lyrik anschrieb und Erinnerungen wach rief an eine Zeit, in der niemand etwas gesehen und noch weniger etwas getan haben will. Können wir denn alle von Rosa Luxemburg abstammen?
Zähle die Mandeln!
"Ja, die Deutschen sind zäh", tönt eine alte Frau auf Krankenhauszimmer 108, ein Bett neben meiner Oma. In Gedanken erwidere ich, dass schon das Konzept von Nationalität Entindividualisierung begünstigt und lese die Niemandsrose. Um nichts anderes scheint Celan zu kreisen als um einen unausgesprochenen Vorwurf, der unser Denken erschüttert wie Judith Butlers Theorie von den Geschlechtern. Deutscher, das bin ich auch, sagt zumindest mein Reisepass.
Mandelbaum, Trandelmaum.
Ein Plakat in der Universität zeigt zwei Fotografien aus Dresden; die eine mit jubelnden Nationalsozialisten, die zweite mit zerstörten Häusern und betitelt: "Sowas, kommt von sowas." Doch gerade die implizite 'Unausweichlichkeit der Geschichte' ist problematisch, verschiebt sie doch die persönliche Schuld hin zu einer unpersönlichen Volksschuld. Die Frage aber muss lauten: Wie konnten die Väter unserer Väter so etwas zulassen? Und was hätten wir getan?
Bandelmaum, Mandeltraum.
"Der Junge kommt nach seinem Großvater, ganz die nordische Linie", findet sich unter den Sätzen auf dem diesjährigen Familienfest. Ich aber will nicht nach jemandem kommen, will kein Deutscher sein, will das Identifikationsangebot nicht annehmen. Denn, ist nicht jedes Denken in Kategorien gleichzeitig ausgrenzendes Konkurrenzdenken zu anderen, nicht gewählten Kategorien, derselben Ordnungsstufe? Was heißt Deutscher sein anderes, als 'nicht Franzose sein?'.
Und auch der Machendelbaum.
Celan setzte dem 'Recht auf Vergessen' die 'Pflicht des Überdenkens und Erinnerns' entgegen.
Ist es in diesem Sinne nicht an der Zeit der 'Dekonstruktion der Geschlechter' eine 'Dekonstruktion der Nationalitäten' beizustellen? Dass Celan kurz nach Kriegsende scheitern musste, scheint nachvollziehbar. Doch ist es heute denn so anders?
Aum.

X-Mas

Es ist Weihnachten. Weihnachten? Ich habe den Tag mit einem Teil meiner Familie verbracht, Steffi mit der ihren. Es roch ein wenig nach Plätzchen und von einer "X-Mas-Compilation" (welch ein ekliges Wort!) ertönte Bing Cosby. Der Ablauf war genau geplant: Oma abholen, Unterhalten, Geschenke, Essen. Der ganze Stress der letzten Wochen kulminierte in diesen wenigen Stunden. Und doch war es da, das kleine schamvolle Gefühl kindlicher Freunde beim Geräusch aufreissenden Geschenkpapiers, die zarte Ahnung von Beisammensein in einer Familie, welche nicht einmal untereinander auf Beerdigungen geht. Bei der dritten verschenkten Schokoladentafel fing ich an über hungernde Kinder in Afrika nachzudenken. Das Radio meldete Staus und Empfehlungen fürs Abendprogramm. Im Fernsehen liefen Tierdokus mit Klimamahnungen und kardinale Schimpftiraden auf Bankmanager. Beim Weihnachtsgrußschicken an alte Freunde per SMS merkte ich, wer sich lange nicht gemeldet hat und fand in meiner Erinnerung den Satz eines zufälligen Bekannten vom Unisport: "Nein, ich bleibe über Weihnachten hier; ich habe kein' Bock Familie zu heucheln!" Ebenezer Scrooge hätte seine Freude daran gehabt. Ich jedenfalls wäre gerne in eine Kirche gegangen, aber nicht in Familienüberfüllte samt schreienden Kindern und bekämpfte stattdessen meine annahende Erkältung und Dauerschluckauf mit allerlei Hausmitteln. War das nun Weihnachten? Weihnachten? Vielleicht finde ich es ja nächstes Jahr...

Montag, 22. Dezember 2008

Goo

Vor ein paar Tagen noch habe ich mich an dieser Stelle über meine mangelnde Zeit beklagt. Videospiele gehören definitiv zu den "Zeitfressern Nummer 1" und sind meist so langweilig wie unerfüllend. Dennoch war mein Geist schwach und ließ sich ablenken; Gott sei dank, denn sonst hätte ich wohl eines der innovativsten Spiele der letzten Jahre verpasst: World of Goo!
Hinter dem Namen mit den vielen schönen tiefen Vokalen, verbirgt sich eine Physiksimulation im Gewand eines Geschicklichkeitsspiels. Putzige Knetbälle werden über Verbindungsstreben zu Türmen aneinandergepappt um spezielle Röhren als Zielpunkte zu erreichen. In den verzwickten Leveln ist dabei Mausgefühl, Bauchgefühl und Hirnschmalz vonnöten, denn meist sind die Ausgänge hinter allerlei Hindernissen verborgen. Dazu gibt es Sonderknetsorten, z.B. explodierendes Goo, haftendes Goo oder wiederverwendbares Goo, welche Spielspaß und Komplexität deutlich erhöhen. "World of Goo" durchzuspielen ist dabei wirklich nicht sonderlich schwer, wartet jedoch in jedem Level mit Bonuszielen auf, welche einiges an Übung erfordern. Als wäre das Spielprinzip nicht innovativ genug, wäre da noch das ungewöhnlich cartoonhafte Artwork, die absurde aber durchaus intelligente Handlung, die passende Musikuntermalung und die gelungen niedlichen Soundeffekte (welche deutlich an Worms erinnern) zu erwähnen. Doch mit den "Credits" macht sich die Verwunderung breit: nicht mehr als drei Namen tauchen dort auf. Es gibt sie also doch noch, die independent Spiele, die den großen Spieleschmieden zeigen, wo der Hammer hängt.
Mit World of Goo hatte ich einige sehr vergnügliche Stunden, mit den handelsüblichen Megasellern alla "Oblivion", "Unreal" und wie sie alle heißen, langweile ich mich höchstens und ärgere ich mich schlimmstens über unschöne Bugs oder halbgares Design. Warum also nicht zurück zu den Wurzeln der Computerspiele kehren? Am Ende meines erfrischenden Ausfluges in eben jene Arcadewelten melde ich stolze 855 gerettete Goo Bälle. Any competitor?

Freitag, 19. Dezember 2008

Katastrophengedanken

Wie weihnachtlich doch alles ist: so viele Geschenke, soviel Schein. Heute aber wurde es in Bonn wenig Weihnachtlich, als plötzlich Innenstadtweit die Bankautomaten ausfielen. "Systemfehler" prangte auf den Monitoren, vor denen sich kleine Mengen hochgestressten Weihnachtsspätshopper zusammenfanden um sich gegenseitig der Unverschämtheit dieses Systemfehlers zu versichern. "Man muss doch noch Geschenke kaufen." "Man muss doch Bargeld in der Tasche haben." "Ist das etwa die Finanzkriese?" Wahrscheinlich ist dies nur auf einen Fehler in der Software zurückzuführen, spielte das System für einige wenige Augenblicke einfach nicht mit; vielleicht der Großandrang.
Doch spielen wir das beliebte Spiel des Konjunktivs. Was wäre denn, wenn das System 'crashte' (abgesehen von dem furchtbaren Anglizismus, natürlich)? Wie schnell würde die Infrastruktur zusammenbrechen? Wie überfordert wäre die Ordnungsmacht, wie gierig und panisch der Einzelne? Würden sich Weihnachtseinkäufer binnen Minuten in plündernde Fackelzüge verwandeln, oder würde die Passivität der Bevölkerung andauern und sich erst nach Tagen der Verzweiflung der Handlungsfähigkeit weichen? Eigentlich wäre dies ein schönes Szenario für ein Buch. Ein junger Soldat ist der Erste, der an einem Schalter kein Geld mehr ziehen kann. Die Medien melden überfordert Unstimmiges und Gegenteiliges. Eine ältere Dame verfolgt von ihrem Fenster aus mit dem Opernglas die immer unruhiger werdenden Menschenmassen auf dem Marktplatz. Die kleine Lilly verliert ihren Vater unter den Tritten des sich bildenden Mobs und findet Zuflucht in der verlassenen Stadtkirche. Zwei Professoren debattieren in einem Straßencafé über Marx und Deeskalation und sie sind die ersten Opfer. Gewalt und Feuer folgen. Ein Literat ist auf der Suche nach Batterien für sein Diktiergerät und wittert das Buch seines Lebens. Zwei Bankangestellte versuchen zu fliehen, als sie Stimmen im Treppenhaus hören. Der ältere versucht die Menge zu beschwichtigen und wird gelüncht, der jüngere schwingt sich auf zum anarchistischen Propheten und beginnt im Wahn Stimmen zu hören. Ein junger Punk trifft auf der Flucht seine Jugendliebe und verschanzt sich in einem Sexkino. Gierige Plünderungen werden zu frustrierter Gewalt und Lust an der Zerstörung, die Polizei wechselt die Seiten. Ein alter General gibt den Feuerbefehl für das Militär. Aus Rauch und Trümmern erhebt sich am nächsten Tag eine Stadtdiktatur. Als neue Währung werden Zigaretten ausgerufen; der Umtauschkurs in die Unze Gold ist 2000:1.

Montag, 15. Dezember 2008

Ein Topos

Wer gerne liest, wird oft auf Bücher stoßen, die er gerne lesen würde (nichts wäre banaler). Doch alleine bei meinem heutigen Besuch im Buchhandel meines Vertrauens fand ich gleich derer fünf und das auch nur, weil ich nicht richtig geschaut habe. Der neue Tellkamp scheint gewichtig, die Gesamtausgabe von Kafka gewichtiger, die Neuübersetzung der Ilias lockt mit zeitloser Klassik, doch da ist auch noch das kleine und eventuell geistreiche Büchlein über den Sinn des Lebens von Terry Eagleton.
Und genau hier kommt das Problem: wenn man annimmt, dass ein Mensch nur ca. 15.000 Lesetage zur Verfügung hat und weiter annimmt, dass ein Buch ca. 3-5 dieser Tage verbraucht, dann ergibt das eine Menge von ca. 3000 Bücher, die ein Mensch in seinem Leben lesen könnte. Doch das tiefere Problem steckt im Konjunktiv, denn da sind ja noch andere Medien wie Musik oder Film, das Weltgeschehen vermittelt durch Nachricht und Zeitung und immer wieder der Wunsch nach eigenem Schreiben, Freunde, Beziehung, Spaziergänge, Hobby, Sport. Zeit, die der Literatur verlorengeht. An dieser Stelle bricht mir Schweiß aus: Es muss selektiert werden, ausgewählt, abwägt. Soll ich lieber Shakespeare durcharbeiten oder Brecht? Darf es Goethe sein oder Hugo? Und kann ich es mir erlauben, mich tagelang in russischen Erzählungen von Gogol bis Mandelstamm zu verlieren, wenn ich nicht mal Mallermés Gedichte kenne? Was war mit meiner Jugend? Computerspiele, Besäufnisse, Pokerrunden. Ich hätte Cicero, Bocaccio und Petrarca haben können! Waren die ersten Lieben blass im Vergleich mit Dantes erhabener Beatrice? Was ist mit all den unbekannten Literaturen, die ich schon immer erkunden wollte, Japan, Lateinamerika, Indien?
"Leise, langsam, Unglückseliger" scheint der Winter mir zuzuraunen. "Überschlage dich nicht, sondern lese!" Recht hat er. Mit jedem Satz kommt man dem unerreichbaren und unbenannten Ziel zumindest einen Satz näher.

Samstag, 13. Dezember 2008

Alle Jahre wieder ...

Es sind noch 11 Tage bis Weihnachten, jenem Fest, bei dem das Lametta so schön amerikanisch glitzert. Und jedes Jahr zu Weihnachten stelle ich mir die gleiche Frage: "Was soll das alles ?" Vielleicht verfalle ich gerade in meine jährliche Weihnachtsdepression, gepaart mir Weihnachtsunfreude und Missmut über die allgemeine, zu dieser Jahreszeit besonders deutliche, Glückseelenlosigkeit. Das der Coca-Cola Weihnachtsmann das Christkind, Geschenke die gemeinschaftliche Botschaft und Hektik die vielleicht einst so besinnliche Zeit überdeckt haben, ist oft und schnell gesagt. Doch wie jedes Jahr verspüre ich gerade in dieser Zeit voll Lebkuchen und Schokoladenäpfeln, Zimtsternen und Stollen eine eher fade Leere. Und in der Stadt wird gekauft und gekauft, so als gäbe es keine Finanzkriese, so als erwärmte sich nicht die Erde, so als hungerten in Afrika keine Kinder. Für wenige Tage kann man all das schlechte Gewissen vergessen und nach Herzenslust shoppen; macht ja schließlich jeder. "Hast du schon Lametta?", "Nein, aber ich brauche noch ein Geschenk für die Nichte von Heinz.", "Kommen die denn auch zu Besuch?", "Hach, ja. Wie jedes Jahr." "Aber du kannst die garnicht leiden." "Weihnachten eben."
Grausam sind die kleinen Beobachtungen, die alten Männer mit den Wollmützen, welche aus der Zeit gefallen, die Reihen des Weihnachtsmarktes abschreiten und befremdet auf die jungen Leute schauen, die sich vor dem Glühweinstand schon Mittags betrinken. In dieser Zeit fühle ich mich oft wie einer von ihnen. Selbst die
Buchläden, in denen ich mich sonst wohl fühle, sind mir im Dezember fremd. Dort tummeln sich Großtanten und Onkel, Väter und Freunde und auf einmal erhält Dostojewski wieder Beachtung, auf einmal fragt man nach Dickens ... natürlich der Weihnachtsgeschichte, was sonst. Zwischen den Konsummenschen geht eine Mutter mit ihren Kindern und singt "Schneeglöckchen, Weißröckchen", doch der Gefrierpunkt ist fern. Ich beneide die Kinder und wünsche mich doch nicht zurück. Vor den geschlossenen Toren der Universität erfasst mich die Sehnsucht nach der Ruhe des Seminars, den Reihen verstaubter Faksimiles und Menschen vom Format eines Schiller, eines Rousseau. À Noel, je suis un autre.

Freitag, 12. Dezember 2008

Toilettenschmutz

Wenn ich über die Sanitären Anlagen der Universität Bonn rede, bin ich ja vieles gewöhnt. Mit Edding an Wände zu schmieren scheint eine gern verübte Freizeitbeschäftigung zwischen Seminaren zu sein. Natürlich sind Teile der Anlagen auch öffentlich zugänglich, doch 'Mitteilungen' wie "Studiengebühren gehören abgeschafft!" oder "Nazis Raus!" scheinen mir nicht die Theorie von Fremdbeschmutzung zu erfordern. Heute aber erreichte der 'Schmier' eine neue Dimension, nämlich die der Integrationspolitik. Zu lesen war "Deutsche raus aus Deutschland!", "Shaira als Grundgesetz!", "Tötet alle Schweinefresser!" und "Christen sind Söhne von Schweinen und Hühnern." Neben der Menge der Einzeiler (fast die ganze Wand war so beschrieben) waren auch die wenigen 'Antworten' darunter nicht besser. "Verpisst euch aus Deutschland!" und "Ihr gehört abgeschoben!" ließen im Zusammenspiel mehr als nur Unbehagen in mir aufsteigen. Ohne es nur an solchen Schmiergefechten festzumachen, habe ich das Gefühl, das etwas in integrativer Hinsicht in diesem Land falsch läuft. Eine nach "Abschiebung" schreiende Leitkultur wäre aber keine Antwort, sondern eine Katastrophe, bei der Celan sich im Grabe umdrehte. Mir bleiben einige Fragen zurück: Wird sich dieses Spannungsverhältnis mit zunehmender Finanzkriese verschlimmern? Wo lässt man einen Dialog beginnen? Warum reizen saubere Toilettenwände eigentlich als Forum für politische Statements oder sonstigen Gehirnabfall?

Ich habe letztens Steffi gefragt, wie das bei den Mädels aussieht. Die Antwort gab mir dann nocheinmal zu denken. Ich zitiere: "Die Wände sind eigentlich wenig beschmiert. Wenn, dann stehen dort ernstere Fragen wie 'Wie merke ich, dass mein Freund mich liebt?' oder 'Ich bin schwanger. Soll ich abtreiben?', zum Teil mit betroffenen Antworten."

Orlando Furioso, Vivaldi

Die Bonner Oper ist immer wieder ein Erlebnis. Gern habe ich dort Sommernachtstraum gesehen und gehört oder mich bei der Zauberflöte verzaubern lassen. Doch dass ein Opernbesuch auch immer Risiko ist, davon konnte ich mich letzte Woche überzeugen. In Abendgarderobe machten Steffi und ich uns auf, sich unter das Bildungsbürgertum zu mischen. Eine barocke Zauberoper war angekündigt und sogleich die Ouvertüre war angenehm ungewöhnlich. Flöten und Streicher und Klavier beschäftigten den Orchestergraben, dessen Dirigent sich meines Applauses von Anfang an sicher sein konnte. Dann jedoch jagte eine Fehlbesetzung die nächste. Der maurische Fürst Medoro war, sterbend wie magisch genesen, gleichsam bemittleidenswert. Orlandos Auftritt auf einem riesigen Holzpferd war eindringlich, doch die Stimme der Sängerin für meinen Geschmack der Rolle nicht angemessen. Ich meine, ich habe ja nichts gegen Transvestien, noch gegen einer Interpretation zugunsten der Frauengestalten und halte persönlich die Queer-Theory für ein bedenkenswertes Stückchen Fortschritt, aber sich diesen Orlando rasend vorzustellen war mir kaum möglich. Zudem war es bitterkalt im Opernsaal, so dass dies, kurzum, den Ausschlag zu unserer Flucht in der Halbzeitpause gab.
In einer im Foyer ausgestellten Rezension hieß es "immerhin gab es keine Buhrufe bei der Premiere". Da fragt man sich, ob diese Tatsache schon für ein gutes Stück spricht.

Tori Amos, Litte Earthquakes

Auf meiner beständigen Suche nach etwas Hörbarem, bin ich letztens in meinem Musikarchiv auf eine Perle gestoßen. Tori Amos heisst sie, gehört als Vorreiterin zur Welle der Singer/Songwriter Amerikas der 90er und wählt vor allem das Klavier als ihr Instrument, was bei all den sonst aktuellen Gitarrenklängen durchaus mal für Abwechslung sorgt. Zwischen High Heels und sozialem Engagement (u.A. die Mitgründung von RAINN, amerikas "Rape, Abuse and Incest National Network) erscheint sie als starke Frau und Ekzentrikerin. Beides keine schlechten Klischees für eine Musikern, fernab des Mainstream.

Dann kommt die Musik, kommt gleich auffallend ungewöhnlich daher, legt sich auf keinen Stil wirklich fest, spielt mit Instrumenten und kehrt immer wieder zum Klavier zurück. Ihre Stimme legt sich klar und präsent darüber, harmonisiert, dringt zum Hörer durch und erinnert an Gesangskünstlerinnen alla Laureena McKennit oder Enya, nur ohne Fantasykitsch. Wer versucht ist mitzusummen jedoch, stößt schnell auf die Qualität der Texte, nur oberflächlich verspielt, welche doch schon beim zweiten Hinhören
unbequem werden und sich um so viel mehr drehen als Verliebtsein, Sex und Schmerz. Es sind aktuelle Themen von Religion bis Unmenschlichkeiten, Beobachtungen der Welt die in Versform eine lyrische Qualität erlangen, welche es nicht oft geben mag im Popgeschäft und die ich seit Zeiten eines "Hotel California" vermisst habe. Sie spielt mit Zeilen ihrer Vorbilder, bedient sich bei Nine Inch Nails bis Leonard Cohen. Eine Zielgruppe ist kaum erkennbar. Es scheint, als sei diese Musik für sie allein geschrieben, so als singe sie nichts weiter als ihre Gedanken am Klavier, kleinen Erdbeben, denen wir als Hörer lauschen dürfen. Vielleicht ist das so. Fast möchte ich neidisch werden, es bereuen Text und Literatur und nicht Musik als mein Fach gewählt zu haben. Draussen finde ich Ivanhoe von Walther Scott im Buchhandel für einen Euro verramscht und Tori singt dazu aus meinem Mp3-Player:

So you found a girl who thinks really deep thoughts
What's so amazing about really deep thoughts
Boy you best pray that I bleed real soon
How's that thought for you
My scream got lost in a paper cup
You think there's a heaven where screams have gone
I got 25 bucks and a cracker
Do you think it's enough
To get us there


Amen.

Madagascar (2008)

Vor ein paar Tagen sah ich Madagascar; zugegeben, auch weil sich niemand bekanntes freiwillig für "Waltz with Bashir" fand und ich einfach wieder Lust auf Kino hatte. Also stellte ich mich auf einen gemütlichen Abend eher geringeren Unterhaltungswertes ein. Dumm nur, das das Poppcorn auf sich warten ließ. Also kuschelte ich mich in den Kinosessel und harrte der Dinge, die da kommen würden. Steht im Paratext zu diesem Blog nicht etwas von Bekenntnissen? Hier kommt eines: Ich fand den Film gar nicht mal so schlecht. Vorweg: ich mag Animationsfilme eher nicht, finde Schreck nervig, Toy Story eher steril und würde es auch sonst eher mit Cubrick, als mit sprechenden Löwen halten. Kung Fu Panda war zwar sehenswert, aber eher wegen dem so seltenen asiatischen Setting. Einzig für die Technik interessiere ich mich, welche Filmemachern neue kreative Freiheiten eröffnet und eine immer genauere Abbildung von Realität ermöglicht. (Wie weit sind wir denn noch von BTL - Better Than Life entfernt?).

Der Film begann also mit einer disneyesken Familiengeschichte. Die Landschaft war schön umgesetzt, die Figuren eher cartoonhaft klobig, aber in ihrer Überzeichnung immerhin wiedererkennbar und im Bewegungsablauf glaubbar realistisch. Oh, keine Sorge, das wird keine trockene Filmrezension mit Avant-Garde-Attitüde und Technik-Review. Bemerkenswert schön aber war z.B. die Rückblende am Anfang des Filmes als Einführung, kreativ mit gestellten Zeitungs- und Fernsehberichten umgesetzt. Vielleicht trauen sich jetzt auch mehr Fortsetzungen als Fortsetzungen daherzukommen. Dann begannen die Gags. Gut, Gags sind Geschmackssache und über die Hälfte spielte mit Sex und Gewalt, aber insbesondere die Pinguine waren durchaus sehr unterhaltsam in ihrer Goodfellas-Art. Spätestens im Flugzeug (huch, da sieht man mal, wie sehr man die Ebenen vermischt, wenn man über etwas redet. Naja, also im Flugzeug) eröffnete sich mir eine weitere Dimension des Films, nämlich diejenige aus Filmzitaten. Das Geständnis einer unkonventionellen Liebe beim Absturz war getreu "Almost Famous" nachempfunden, der kleine Affe Scratch aus Ice Age, die Familienstory dem Löwenkönig, um hier nur einige zu nennen. Es macht einfach Spaß solche Verweise in einem so hohen Aufkommen zu entdecken, einen ganz eigenen Spaß abseits von Filmqualität und Komik. Und wäre es nicht möglich, dass man diesen Spaß als ganz eigene Qualität von Filmen betrachten kann? Man könnte bei Karl-Heinz-Stierles Konzept von verdichteter Intertextualität als alternatives Qualitätsmerkmal ansetzen. Genug aber davon! Der Film war einfach besser als gedacht. Und nach 20 Minuten hatten sie auch wieder die Poppcornmaschine repariert. Was will man denn mehr?

Rollenspiel

Mit Sicherheit ist es eine weitere zeitliche Belastung neben der Magisterarbeit mich dem Thema Rollenspiel zu widmen, doch mein liebstes Hobby mag ich einfach nicht aufgeben, nicht mal für ein halbes Jahr. Ab und zu andere Masken anzulegen, kann sehr entspannend sein. Seit je her identifiziere ich mich jedoch mehr mit der Position des Schaffenden, als das des Rezipienten. Dankbarerweise verwischen im Rollenspiel diese Grenzen, kann ich mich als Spielleiter genauso vom Geschehen überraschen lassen, wie die Spieler. Alle tragen zum Gesamtvergnügen bei, so als spielten Schauspieler auf einer Bühne nur für sich allein.

Rollenspiel bleibt dabei Zeitlich und Örtlich gebunden als eines der wenigen verbliebenen Medien, welche sich nicht beliebig vervielfältigen lassen; in gewisser Weise also eine erholsame authentische Erfahrung. Jaja, das hört sich alles furchtbar an, aber gerade in den letzten Semestern habe ich mich manchmal gefragt, ob man die Theorie von Rolle und Identität nicht als konstruktive Methode zur Textanalyse weiterentwickeln könnte? Müsste man Dantes Comedia nicht anders Lesen, wenn es um eine Maskierung des Dichters in die Rolle eines Alter Ego ginge, in welcher er eine fiktive Erhöhung erfährt? (Auch hier spielt Auserwähltsein eine gravierende Rolle.) Zumindest versichere ich mich ab und zu gerne, dass unsere Identität performativ-konstruierter Natur ist, Judith Butler lässt grüßen.

Magisterarbeit

Vor einigen Wochen habe ich mit meiner Magisterarbeit des Studiengangs "neuere deutsche Literatur" an der Universität Bonn begonnen. Es ist für mich das erste Großprojekt von einem Seitenumfang zwischen 80 und 120 Seiten, deren Weiß ich nun füllen muss. Nach Ablehnung meines ersten Themas um den Einfluss des Politischen auf Goethes Werke von Goetz bis zum Divan, bin ich nun doch mit Lyrik betraut worden; eigentlich etwas, was ich vermeiden wollte.
Das Problem besteht nun darin, sich vom Universitätsalltag weitgehend zu lösen und in einen effektiven
Arbeitsrhytmus zu finden. Da sind nur leider das Comicseminar und mein Tutorium über die "Grundlagen der modernen Kultur", die Vorlesung über Homer und eine Ringvorlesung über den Genrebegriff in anderen Literaturen (Warum werden diese spannenden Veranstaltungen gerade jetzt angeboten?). Ich versuche also meinen üblichen Spagat zwischen Pflicht und Lust und hoffe, dass sich mir baldmöglichst meine Pflicht zur Lust wandelt.