Dienstag, 17. März 2009

Schlecht kopiert ist halb verloren ...

Vorweg: Coverversionen an sich sind logische Entwicklungen moderner Kopierbarkeit und haben nicht zufällig ihre Blüte mit Aufkommen des computerunterstützten Samplings zu Beginn der 1990er. Auch finden sich in der modernen Musik zahllose Beispiele von Neuinterpretationen, die ihre Vorbilder in Qualität und Popularität übertrafen; so etwa Janis Joplins "Me and Bobby McGee" (orig. Kris Kristofferson) oder das großartige "Hurt" von Johnny Cash (orig. Nine Inch Nails). Denen gegenüber steht jedoch eine Masse schnell produzierter Covermusik, die allein auf den Wiedererkennungswert eingängiger Melodien setzt.
Nachdem ich irrigerweise glaubte (wohl eher hoffte), der Trend habe nachgelassen, wurde ich jüngst, bei einem Ausflug in die Popmusikcharts, eines Besseren belehrt. Zwei Gegenbeweise fielen mir besonders auf: "Eisblumen" von Eisblume (sehr einfallsreich!, orig. Subway to Sally) und "Unforgiven" von Stefanie Heinzmann (orig. Metallica). Die durchaus bekannten, 'härteren' Vorbilder aus dem Goth-Rock bzw. Heavy Metal Bereich wurden um 'unbequeme' Instrumente wie E-Gitarren gekürzt und vor charakterlosen Popbeats von klaren Mädchenstimmen vorgetragen. Die aggressive Werbung über soziale Netzwerke (Facebook etc.), Fernsehwerbung und Talentshows ergänzt das Bild der dahinterstehenden, wohlkalulierenden Musikindustrie. Die Auswahl der Originale und die Gestaltung der Videopräsentation zeugt von zunehmender Popularisierung ehemaliger Randgruppen wie z.B. Emo oder Gothic. Allerdings verlieren die Songs gerade durch den Zuschnitt auf Massenwirksamkeit ihren rauen Charme. Insbesondere die unveränderten kritisch-düsteren Texte wirken vor dahindümpelndem, heiteren Popsound entschärft und inhaltsleer: "throughout his life the same / he's battled constantly / this fight he cannot win / a tired man they see no longer cares / the old man then prepares / to die regretfully / that old man here is me." Gekauft wird freilich trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen; wenn immerhin noch der Text soviel mehr ist als der chartstürmende Einheitsbrei voll trennungsschmerzgefüllten Belanglosigkeiten. Trotz aller Verfremdung ist die Größe der Originale durch den Text erahnbar. Es bleibt zu hoffen, dass einige Hörer zu eben jenen zurückfinden werden.

Samstag, 14. März 2009

Counterstrike ist kein Cervantes!

In Nachwirkung des Amoklaufes von Winnenden kursieren im Internet zahlreiche Erklärungsversuche. Auch sogenannte "Killerspiele" stehen erneut auf der Anklagebank. Und wieder finden sich in Talkshows und Interviews die altbekannten gegensätzlichen Positionen: das bildungsbürgerliche Unverständnis über das Medium "Videospiel" und der intuitive Protest von Konsumenten, die sich einer verallgemeinernden Vorverurteilung ausgesetzt sehen. Doch, wenn Militärs virtuelle Simulationen zum Training wirklicher Kampfeinsätze verwenden, muss man zumindest von der 'Einübung von Szenarien und Bewegungsabläufen' sprechen. Der Trend zum digitalen Fotorealismus lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit weiter verschwimmen. Nicht abzustreiten ist das hohe Maß an Gewalt, das in modernen Videospielen affirmiert wird.
Don Alphonso stellt in seinem Faz-Blog "Stützen der Gesellschaft" im Beitrag "Rilke, Voltaire und Amok" (12. März 2009) Videospielen ein anderes Medium, das des Buches gegenüber. Auch dort sind Schock und Skandal alte Bekannte, denkt man an Baudelaires "Les Fleurs du Mal", Gottfried Benns Gedichte oder Elfriede Jelineks "Lust". Doch während die Literatur auf eine Jahrtausend alte Tradition zurückblickt, sind Videospiele kaum ihren Anfängen erwachsen. Selbst, wenn der digitalen Präsentation eines "BioSchock" oder "World of Warcraft" eine gewisse Ästhetik zumessen werden kann, bleiben sie ganz im Unterhaltungswert verhaftet. Hat das Medium also sein Potential nur noch nicht entdeckt? Schränkt die Verpflichtung zur Interaktivität die Möglichkeiten künstlerischer Komposition zu sehr ein? Die Lösung ist einfacher und lässt den Vergleich hinken: Letztendlich sind Videospiele allein der kommerziellen Ausrichtung einer schnelllebigen Industrie unterworfen. Dass dabei der Kundengeschmack nicht vernachlässigt bleibt, ergibt sich von selbst. Es ist also vielmehr zu überlegen, ob digitale Gewalt nur ventilhafter Ausdruck einer Zeit ist, in der alltägliche Gewalt nur noch durch vereinzelte Extremata - wie Amokläufe - ins Sichtbare des abgestumpften öffentlichen Bewusstseins treten.

Mittwoch, 11. März 2009

Von der Feigheit extremer Gewalt

Eric David Harris aus Littleton und Sebastian B. aus Emsdetten hatten vieles gemeinsam. Sie waren Kleinstädter, Außenseiter, unauffällige Jugendliche des Mittelstandes und mehrfache Mörder. Seit gestern erweitert sich ihr Kreis um Tim K. aus Leutenbach. Wie bereits 1999 und 2002 überbieten sich die Medien in ihren Reaktionen vor allem in Betroffenheitstopoi, Schuldvermutungen und blutigen Details und riskieren dabei bewusst Nachahmungstaten. Dass Tim K. mit einer 8mm Baretta aus dem Besitz seines Vaters schoss, und dieser als Sportschütze 14 weitere davon in der Wohnung deponiert hatte, weiß nun ganz Deutschland. Auch, dass Tim K. einen 41-Jährigen VW-Fahrer dazu zwang ihn über die Bundesstraße 313 Richtung Wendlingen zu fahren, wo er nach einem Verkehrsunfall und einem Zwischenstopp in einer Niederlassung des VW-Autohaus Hahn kurz nach 12 zwei Polizisten anschoss. Wahrscheinlich werden sie alle Bücher darüber schreiben.
Die Opfer sind wahllos: Schüler, Lehrer, Referendare, Passanten, Autohaushändler, Autohauskunden. Der Stempel Amoklauf folgt auf dem Fuße. Tim K.: ein Name wie aus Kafkas Romanen. Doch im Gegensatz zu Josef K. war er kein unschuldiges Opfer eines grausamen sozialen Systems. Weder Videospiele, noch dunkle Kleidung, erduldetes Mobbing, Zugang zu Waffen, Isolierung oder bestimmter Musikgeschmack machen sein Handeln erklärbarer. Allgemeinen Lebensfrust und Außenseitertum gab auch schon vor „Give a Boy a Gun“ von Morton Rhue. Tim K. war kein defektes Zahnrad einer größeren, versagenden Gesellschaftsmaschine, die ihn nur hätte 'finden' und 'reparieren' müssen oder am besten gleich die 'Wartungsbedingungen' richtig einstellen. Nein, Tim K. war ein grausamer Täter, ein Mörder, der es vorzog in einer ausgelebten Gewaltphantasie über 14 Menschen zu ermorden anstatt sich seinen alltäglichen Problemen zu stellen. Das ist unglaublich feige. Wer glaubt aus diesem Leben ausscheiden zu müssen, der kann das auch im Stillen tun. Eine solche Tat zeugt vielmehr von tief verwundetem Narzissmus und dem Geltungswillen einmal wichtig zu sein; und sei es auch nur im Tod anderer. Herostratos zündete 356 v. Chr. den Artemistempel zu Ephesus an um bekannt zu werden. Heute reicht es immerhin für einen knappen Eintrag bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Amoklauf_von_Winnenden .

Donnerstag, 5. März 2009

Eine Verteidigung des Buches gegen seine Neider

Das Buch kann auf eine beeindruckende Erfolgsgeschichte zurückschauen. Seine frühe Vorform ägyptischer Papyrusrollen wurde im antiken Rom durch Mittelheftung verbessert und im 14. Jahrhundert mit dem Wechsel von Papyrus zum Papier und dem gutenbergschen Reproduktionsverfahren perfektioniert. Welchen Lesefreund ergreift nicht eine liebevolle Stimmung, wenn er an die Wiegendrucke des 15. Jahrhunderts denkt, oder an die eigene Initiation in diese wundervolle Nebenwelt des Lesens mit Bilderbüchern und Jugendromanen? In Buchläden, Lesezirkeln und auf Messen finden sich täglich Liebhaber und Interessierte, die das Buch in seinem eleganten Design schätzen und nach seinem unübertroffenen geistigen Nährwert hungern. Und doch hat der Literaturbetrieb aus seinem Gegenstand mehr gemacht als einen Verbund von 49 Seiten. Gérard Genette hat 1987 in seinen "Seuils" all die kleinen Besonderheiten und Beiwerke des Buches beschrieben und auf ihre Wichtigkeit für den Lesevorgang hingewiesen. Es sind Konventionen - kulturelle Codes - die Aufmerksamkeit wecken, richtiges Lesen anleiten und untrennbar zum Gesamteindruck Buch dazugehören, ohne jedoch dessen geniale Schlichtheit zu beeinträchtigen.
Doch der technikabhängige Mensch des 21. Jahrhunderts glaubt seine vielleicht größte Erfindung revolutionieren zu können. Er schafft einen "
E-Book Reader", einen kleinen Kasten ohne jeden Charme und rühmt dessen umfangreiche 'Speicherkapazität', als sei Größe das einzige, was zählt. Doch dessen haptische Eigenschaften enttäuschen. Seine Nachahmung des Seitenumblätterns wirkt wie eine schlechte Raubkopie. 'Elektronische Tinte' soll die Augen schonen, doch sie kann nicht über das Fehlen von echtem Papier hinwegtäuschen, was sich unnachahmlich zwischen Leserfinger schmeichelt. Zeiteffizientes Blättern wird zu zeitintensivem 'Scrollen', geliebte Leseecken und Flecken lässt es erst gar nicht zu und will ich einen Text verleihen, geht gleich die ganze Bibliothek mit. Verschlimmbesserungen, allesamt. Einen Markt wird dieses Produkt trotzdem finden. Auch ich bin im Digitalzeitalter aufgewachsen und mache so einige Fortschrittswirren mit, von Kassette zu CD zu Mp3 zu Flac, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch muss ich zugeben, dass der elektronische Text noch in den Kinderschuhen steckt und eingestehen, dass ja auch dieser Text ein elektronischer ist. Auch mag für reisende Kreative, Autoren und Professoren eine Digitale Bibliothek zum Nachschlagen ganz nützlich sein. Doch abends liegt auf meinem Nachttisch noch das wirkliche Original, und gemeinsam verweigern wir uns dem vermeintlichen Fortschritt ... zumindest in diesem Bereich. Man muss ja nicht alles Digitalisieren. Digitale Zuneigung? Digitales Glück? Digitales Buch? Nein, Danke.

Dienstag, 3. März 2009

Virtuelle Kritik

Das Internet: unendliche soziale weiten. Wir schreiben das Jahr 2009 und ganz Deutschland chattet, bloggt, facebooked und twittert, was die Anglizismen hergeben. Verlockend ist dabei insbesondere der Anschein des letzten Freiraums in der weitgehend anonymen Virtualität und das stumme Versprechen von irgendwie gearteter Wichtigkeit in 'social communities'. Man ist jetzt nicht mehr nur 'Surfer', man ist jetzt 'Profil'! Schließlich will man den Beweis antreten, dass Stanley Milgrams "small world phenomenon" recht behält und jeder jeden um sechs Ecken kennt. So findet sich soziale Bestätigung vor allem in digitalen Nischen wie Fanforen oder über wenig aussagekräftige Freundeslisten. Wird das Wort Freundschaft dadurch auf Dauer eigentlich sinnentleert?
Scheint das Web 2.0 als neue Geldgrube der IT-Branche auch gescheitert, erfreut es sich bei Usern stetig wachsender Beliebtheit. Im vagen Raum der Öffentlichkeit hat sicherlich der Wahlsieg des demokratischen Kandidaten Barack Obama in den vereinigten Staaten das letzte Eis gebrochen. Dieser hatte mit seiner Website (www.barackobama.com) erfolgreich Stimmen- und Spendenfang betrieben und sich den Beinamen 'digitaler Präsident' redlich verdient. Doch es mehren sich auch die Generationen, welche den Teddy im Kinderzimmer durch Videogames ersetzt haben und Computer so selbstverständlich bedienen wie Türen oder Toaster. Längst urbane Legenden geworden sind die Zahlen der Beziehungen aus Internetbekanntschaften oder der Prozentsatz der Jugendlichen, welche nicht glauben ohne virtuelle Medien leben zu können. Das Schlagwort 'Medienkompetenz' geistert durch das deutsche Schulsystem während die ältere Lehrergeneration noch immer treu zu Kreide und Schwämmen steht. Auch an deutschen Universitäten kommt nichts als betretene Stille auf, wenn der hochgeschätzte Professor angesichts eines "Antivir-Update" seine Präsentation mit Sorgenfalten auf der Stirn unterbricht und seine Ratlosigkeit ans Publikum weitergibt: "Was soll ich denn jetzt drücken?".
Doch die nächste digitale Evolutionsstufe wartet schon auf uns. Der Autor Gerd Leonhard entwirft in seinem Beitrag "MySpace-City" auf zeit.de eine Vision davon, in der virtuelle Netzwerke realörtliche Ballungszentren ersetzen und die Stadt als solches nur noch Life-Style-Wert besitzt. Die Gesellschaft des Menschen erlebt einen Strukturellen Wandel, wie seit dem Mittelalter nicht mehr.
Einen Vorgeschmack erleben wir schon jetzt: Nutzgeräte werden zu kommunizierenden Einheiten, das Handy zur Allzweckelektronik mit Funktionen von Videokamera bis Spielekonsole. Flächendeckender WLAN-Zugang ist eine reine Frage der Zeit. Der Philosoph Peter Sloterdijk schreibt in seinem Werk "Sphären II - Globen" gar von einer "Raumkrise". Doch nur ein Narr würde glauben, es gäbe zur fortschreitenden Digitalisierung und Technisierung der Welt eine praktikable Alternative. Eine kritische Betrachtung - als Wahrnehmungshaltung verstanden - tut jedoch in jeder Hinsicht Not und sei es nur um nicht auf kurzlebige Trends reinzufallen. Dem Ästheten bleibt zu hoffen, dass die Miniaturisierung eines Tages zur Unsichtbarkeit der ganzen futuristischen Leitungen, Kabel und Antennen führt und zumindest den Augen Erleichterung verschafft. Bis dahin trösten mich die Gedanken daran, dass man auch in neuen Medien Beständigkeit finden kann: Heute wie vor 10 Jahren dient das Internet hauptsächlich Sex und Kommerz. Immerhin handelt es sich dabei um die beiden Grundbedürfnisse des modernen Menschen. Das ist doch was!

Sonntag, 1. März 2009

Die Langeweile der Erklärbarkeit

Eher zufällig fand "Der Illusionist (2006)" heute Abend den Weg in meinen DVD Player. Um der Notwendigkeit einer kurzen Rezension Genüge zu tun, sei gesagt, dass es sich um einen mittelmäßig guten Film handelt, dessen vorhersehbarer Erzählverlauf dem eigentlichen Sinn dieses Films entgegen läuft. Blenden und Schnitte haben mir auch nicht sonderlich gefallen, aber meine persönliche Vorliebe für den Schauspieler Edward Norton machte da viel wieder wett. Dieser spielt die Rolle des Zauberkünstlers "Eisenheim", der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wien mit seinen Illusionen unterhält.
Was mich bei Filmen wie Prestige (2006) gestört hat, wurde hier zunächst besser gelöst. Anstatt hinter die Kulissen des Magiers zu blicken, folgten Story und Kamera den Illusionen auf der Bühne. Auch ich habe mich von dem aus einem leeren Blumentopf wachsenden Orangenbaum verzaubern lassen. Ein simpler CGI Effekt, natürlich, doch als Rollenspieler gewöhnt sich in Situationen hineinzudenken, ergriff ich dankbar das Identifikationsangebot mit dem staunenden Publikum. Warum aber ist gerade dieses 'Staunen' so verpönt?
Die Rolle des in mehrfacher Hinsicht betrogenen Prinz Leopold vertritt dabei die moderne Vernunft: ein Mensch der bereit ist an jede Wissenschaftelei zu glauben, nur nicht an etwas Übernatürliches. Staunen wird in eine kindliche Sphäre verweisen und abgewertet. Doch es ist gerade eine Illusion zu glauben, ein heutiger gebildeter Mensch fiele in unwissende Unmündigkeit zurück, nur weil er Freude am Staunen findet. Nein, es ist etwas anderes, was Erklärungen so zwingend werden lässt: Die heutige Welt ist überzeugter denn je vom Stand ihres Wissens, ganz ähnlich der Epoche des Fin de Siécle. Alejo Carpentier Einschätzung im Vorwort von "El reino de este mundo" von 1949 scheint in leicht abgewandelter Formulierung noch Gültigkeit zu haben: 'In der europäischen Kultur ist kein Platz für das Wundersame', denn schon der kleinste Funke Magie lässt an der ganzen errungenen Ordnung zweifeln. Im Film breitet sich nach den vermeintlichen Totenbeschwörungen von Eisenheim Revolutionsstimmung im Volk aus. Es zeigen sich Gefahr und Möglichkeit Ebenen zu verwischen, Dogmen zu hinterfragen und mit Konventionen zu brechen. Das Aufklärende Ende entpuppt dabei leider die fade Konstruktion. Schade, denn gerade Kunst lebt von jenen neuernden Grenzüberschreitungen und gerade der Film an sich hat sich seit der Faszination seiner Kindertage zu sehr vom Wundersamen und vom Staunen entfernt. 'Magischer Realismus' eines Salman Rushdie wäre in dieser Hinsicht interessanter gewesen.