Montag, 9. November 2009

Morbus Kitahara

Es ist der 9. November, ein historisches Datum für Deutschland, ohne Frage. Es gibt immer viel zu erinnern in diesem Land. Man feiert in Berlin den Mauerfall. Der Zeitgeist steht mit in allen Reihen; Thomas Gottschalk moderiert vor vollen Straßen eine Inszenierung von Massenwirksamkeit und Symbolik. Bemalte 'Mauersteine' formen eine riesenhafte Dominoreihe zum Brandenburger Tor. Die Akteure von Damals warten sie anzustoßen. Selbst die sonst so hektischen Kameras geben sich ergriffen und verbleiben lieber auf Menge. Vereinzelt sieht man Feuerzeuge. Deutschland flirtet mit dem Nationalgefühl - und jeder rollt es an diesem Tag gern über die Zunge, dieses Wort, die Bundeskanzlerin gar häufig in ihrer Rede, das flügeltragende Wort, das Große :
Stammt es aus Frankreich?
Stammt es aus Amerika?
Wer hat es sonst noch gerollt auf den Zungen und zu welchem Takt?
Bemüht betont man freilich, dass am 9. November noch anderes passiert sei, Unbequemes, Schreckliches, damals halt. Das will nicht passen zum Tag des Mauerfalls wie zu keinem. Und so wird sie halt genannt, dieReichskristallnacht schnellerwähntdannhatmandasauch. Und vorgestern fand man Parolen auf Synagogen ,wie passend. Da, wo die Löhne so niedrig sind. Wie Graffiti sahen die aus, wie das Graffiti auf den Dominosteinen.
Ach sie fallen jetzt. Die Mauer fällt.
Die Mauer fällt,
lasst uns schnell hinsehen.

Dienstag, 3. November 2009

Drei Gedanken zur Struktur von Subkulturen

Der Goth von Nebenan lebt in seiner eigenen Welt - einer Welt, welche mit eigenem Kleidungsstil, Musikrichtung und Verhaltensnormen aufwartet - einer Subkultur. Die Neigung sucht die passende Nische, nur weg vom gern kritisierten "Mainstream". Jeder Subkultur ist dieses "Gegen" und "Neben" zu Eigen. Der Vergleich einer raren, dem Eigenen zugeordneten Menge gegenüber einer schwer abgrenzbaren Masse mit (kultureller) Machtposition scheint Quell der persönlicher Befriedigung zu sein und bedient zahllose Topoi von schnödem Rebell bis progressiver Avantgarde. Der dahinterstehende Gedanke ist "differenzbedingte Exklusivität" (das Zeitalter der Individualisierung lässt grüßen). Diese Differenz wird in Subkulturen jedoch nicht persönlich erarbeitet, sondern weitgehend an den Mustern und Normen der Subkultur ausgerichtet. Affirmation ist dabei wichtiger Teil der Zugehörigkeit und strukturell in Subkulturen angelegt. Gerade in der Adaption fester Identifikatonspunkte offenbart sich aber der konservative Charakterzug des Ganzen. Der Einzelne tauscht das Anonyme des kulturellen "Hauptbereichs" gegen eine beschränktere und spezialisierte, wie auch uniformiertere Alternative.

Die Durchdringung der Gesellschaft von Subkulturen lässt die Frage legitim erscheinen, ob von der eigentlichen "Hauptkultur" noch mehr übrig ist als eine in medialer Behauptung erhaltende Schnittmenge diverser Subkulturen als eigentliche orientierungstragende Elemente. Das "Gegen" einer Subkultur liefe in diesem Fall zunächst ins Leere und ließe sich umdeuten als gegen die Idee einer einheitlichen "Haupt- oder Leitkultur" gerichtet. Oder ist die "Idee" einer "Gemeinkultur" letztlich doch bloß eine Vereinfachung komplexer ineinandergreifender dynamischer Einzelsysteme mit zunehmender Vernetzungstendenz bedingt durch medielle Fotrtschritte (z.B. Internet)?

Subkulturen können auch begriffen werden als scheinbare Ausgrenzungen der Gesellschaft zur Selbststabilisierung. Das kulturpolitische Reformpotential des "Gegen" eines Individuums verliert sich dabei im akzeptierten "Neben" einer Subkultur. Dabei haben sich längst Systemelemente zur Destabilisation solcher Subkulturen etabliert, die ihrem Selbstverständnis nach noch blinde Flecken der Gesellschaft darstellen. Das Aufgreifen von Motiven und Identifikationsmerkmalen in verbreiteten Medien (z.B. Film, Literatur) macht auf die Subkultur aufmerksam und reimportiert deren Faszination als kurzlebige Trends. Die Exklusivität der Subkultur schwindet und stört damit die auf "Gegen" beruhende Identifikation. Eine Abwanderung in andere benachbarte Subkulturen oder die Bildung neuer Subkulturen ist die Folge.

Der Fall Alex W.

Der Hartz-IV-Empfänger Alex W. stach in einem Dresdner Gerichtssaal auf die Ägypterin Marwa al-Schirbini ein, tötete sie und verletzte den Ehemann schwer; nun steht er vor Gericht. Es ist ein Fall unter vielen an deutschen Gerichten. Was empören sollte ist die offenbare Unfähigkeit der Gerichtsdiener die Tat zu verhindern, mangelnde Sicherheitskontrollen die die Tatwaffe - ein Küchenmesser - übersahen oder der Polizist, welcher noch auf den schwerverletzten Ehemann der Ermordeten schoss. Leider treten diese Details hinter die erwartungsgemäße politische Aufladung des Falls zurück. Zwar geschah der Mord mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Ausländerfeindlichkeit, doch es entbehrt jeder Pietät vor dem Einzelschicksal Angeklagten und Opfer zu Symbolfiguren für Völkerbeziehungen oder gesellschaftliche Trends zu stilisieren. Doch Medien im In- und Ausland und ihre Kommentare tun genau das, missbrauchen den Fall als Diskurspunkt über Islamophobie und Kulturschranken. Nur eins tritt dabei deutlich zwischen den Zeilen hervor, nämlich das noch immer gestörte Verhältnis hierzulande zu Migration und Fremdenhass. Alles scheint plötzlich wieder präsent: Ehrenmorde, Mohammed Karikaturen, Synagogenbrände, der 11. September, Holocaust. Der verweigernde Unmut der "Nachgeborenen" trifft auf international erinnerte Schuld des "Volks der Täter". vor dem Hintergrund einer strauchelnder Integrationspolitik. Untaten gegen Untaten aufzurechnen ist natürlich von absurder Unverhältnismäßigkeit und entbehrt jedem Verständnis für die tatsächlichen geschichtlichen wie psychologischen Vorgänge. Schlimmer noch vermischt es zu differenzierende Radikalismen und verhindert in der Dämonisierung Möglichkeiten der konstruktiven Entgegnung. Es wäre zu wünschen, wenn das bestehende Medieninteresse in einer öffentlichen Aktualisierung des Kulturdiskurses in Deutschland münden würde, oder wahlweise so schnell vergeht, wie es aufgebauscht wurde. Das Alex W. einem fairen Gerichtsverfahren ausgesetzt und mit hoher Wahrscheinlichkeit für seine Tat vor dem Rechtsstaat entsprechend Bestrafung findet wird, versteht sich dabei von selbst.