Sonntag, 18. Januar 2009

Kriegsübelkeit

Eigentlich wollte ich nicht, dass dieses Blog eine politische Note bekommt. Keine politische Stellung zu beziehen ist (wohlweißlich) unverfänglich und bequem. Doch, wenn ich dieser Tage Nachrichten lese, wird mir regelmäßig schlecht. Machen wir's kurz, es geht natürlich um Israels sogenannten "Krieg gegen die Hamas". Welche Beruhigung verspricht angesichts solcher Themen doch die geistig und zeitliche Beschäftigung mit der kriselnden Lage, des deutschen Geldes, den politischen Querelen in Hessen, den realen und allzu nahen Problemen des eigenen Alltags. Wie angenehm kann man sein Gewissen beschwichtigen, wenn man bedenkt, dass neben der Bundeskanzlerin auch der neue Hoffnungsträger Barak Obama eindeutig für Israels Sicht der Dinge plädiert. Wie nützlich ist es auf einmal, auf die sonst so unliebsame "Schulddebatte" zu verweisen und sich über deutsche Kritik an israelischen Militäroperationen zu echauffieren. Wie elegant kann man sich letztlich aus der Affäre ziehen, indem man die Möglichkeit auf Information als Grundlage zur eigenen Meinungsbildung in Zeiten eines modernen Medienkrieges per se bezweifelt. Ja, auch in Afrika sterben Menschen. Vielleicht hat man dort sogar ein Patenkind und auch Geld für einen Brunnen gespendet. Zu Weihnachten war man auch in der Kirche. Schließlich kann man sich ja nicht um alles kümmern. Dann müsste man ja gleich auf die Straße gehen. Wie soll man denn da leben? Die anderen machen doch auch nichts...

Doch jeder Blick in die Tageszeitungen erinnert, dass in Israel Menschen sterben: Israelische Zivilisten, Israelische Soldaten, palästinensische Männer, Frauen und Kinder. In Zeiten eines "war against terror" scheint es zudem einfacher geworden, jeder tote Säugling nachträglich als Kollateralschaden einer ungenauen, unsauberen aber angeblich notwendigen Kriegsführung zu deklarieren und jede Form von unmäßiger Gewalt und Grausamkeit mit Gegenbeispielen der "anderen Seite" zu rechtfertigen. "Auge um Auge", Rakete um Rakete. Seltsam wirklichkreisresistent scheint noch immer die Vorstellung eines sauberen Krieges, die Willigkeit zu Parolen von der "Verteidigung westlicher Werte". Doch Israels Feind ist kein oft zitierter Terroristenstaat auf dem Weg zur Atombombe, sondern ein als Geisel genommenes Volk vor einer humanitären Katastrophe, bewusst provoziert von einer mit westlichen Waffen ausgestatteten israelischen Militärmaschine. Europa hingegen muss sich den Vorwurf gefallen lassen, absehbar unwirksame Resolutionen verabschiedet zu haben während Israel weiterhin notwendige humanitäre Hilfe blockierte, gekennzeichnete UN-Laster und die UN-Fakhura-Schule im Jabaliya-Flüchtlingslager beschoss. Je mehr man über diesen Krieg weiß, desto wahnwitziger erscheinen einem zwangsläufig seine Idee, seine Ausführung und seine Macher. Man kann nur dankbar sein, dass die westlichen Medien beginnen dem Leid der Opfer mehr Gewicht zuzugestehen und öffentlichen Druck auf die Kriegsparteien auszubauen. Dass die lang ersehnte Waffenpause gerade in jener Phase ausgerufen wird, in der die Bilder sterbender Kinder auch in israelischen Medien zunehmen, wird nur allzu verständlich durch die dort anstehenden Wahlen. Doch auf welche Weise die nun anlaufende politische Bewertung des Krieges auch ausfallen mag, einige Dinge können als nahezu sicher angenommen werden und tragen darin enorm zu meiner Übelkeit bei:

- Die Leidtragenden sind, wie immer, Zivilisten.
- Die Hamas wurde nicht vernichtet.
- Ehud Barak wird die Wahl gewinnen.
- Eine diplomatische Lösung ist ein weiteres Mal deutlich erschwert worden.
- Begangene Kriegsverbrechen werden weitgehend ungeahndet bleiben.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Der Wahnsinn der ganz normalen Welt

Es ist Mittwoch. Ich sehe aus dem Fenster auf den Hof, der noch weiß bedeckt ist. Doch der Schnee ist längst nicht mehr jungfräulich, nicht mehr weich. Über Nacht ist er zu Eis gefroren, haben sich Reifenspuren und Fußabdrücke erhalten. Ich finde ihn dennoch schön, weil er das Gewöhnliche verhüllt. Auch meine Spuren sehe ich und erinnere mich an das wohlige Knirschen unter meinen Füßen.
Auf der Straße vor dem Haus kommt bereits wieder der Asphalt durch. Streusplitt liegt auf den Bürgersteigen. Trotzdem muss ich die glatten Stufen vorsichtig hinuntersteigen. Im Bus in die Stadt wird über das Wetter geredet, welche Probleme es bringt und wann es sich denn ändert. Auf dem Fahrzeugboden bildet sich ein Matsch aus Dreck und Wasser von den Schuhen. Ich schweige und schaue lieber zu den Ästen der vorbeiziehenden Bäume, die sich unter dem Schnee biegen und ihn doch nicht abschütteln. Das Wetter lässt Menschen andere Wege nehmen. Ein älterer Herr und eine Dame kommen über Operationen ins Gespräch. Er lacht, sie kokettiert und beide trennen sich am Busbahnhof. In der Stadt geht alles seinen gewohnten Gang. Noch immer werden Weihnachtsgutscheine eingelöst. Ich esse eine warme Portion "Thom Ka Gai"; das ist asiatisch und schmeckt nach Hühnchen und Kokos. Als Überraschung gibt es frisches Maisbrot als Beilage.
Seit einer Woche führt Israel Krieg gegen die Hamas, einen sogenannten Krieg für den Frieden. Es ist die Schlagzeile des Tages. Menschen betreten den Laden und bestellen. Ich kaufe noch ein Brot für den Abend und kann mir das Leid im Gazastreifen kaum vorstellen. Ich suche in den Gesichtern der Passanten nach einem Hinweis, dass auch sie sich Sorgen machen, doch vor der aufdringlichen Werbung eines Reisebüros entgleiten mir diese Gedanken. Während ich die Neuerscheinungen im Buchladen studiere, sterben in Israel Frauen und Kinder. Eine beiläufig gekaufte DVD erzählt die Geschichte der Bartholomäusnacht. Ich betrachte die Menschen um mich und bin eigentlich gar nicht hier.
Castortransporte und Müll aus Neapel kommen ins Land. Meine Magisterarbeit geht schleppend voran. Nicht nur in Ostdeutschland erstarken die extremen Rechten. Alle schnüren Milliardenpakete. Im Kongo vergewaltigen Milizen Frauen. Ein Finanzmagazin berichtet, wie man die neusten Steuern austrickst. Kommunikationsfirmen verkaufen die Daten ihrer Nutzer. Ich sehe in einem Kaufhaus den ersten Staubsaugrobotter und denke an Huxley. Irgendwo auf der Welt dopt genau jetzt ein Spitzensportler um noch einen Sekundenbruchteil schneller zu sein und im All dreht sich ein zunehmend weniger grüner Planet um einen großen Feuerball ...

Donnerstag, 1. Januar 2009

Ein Vampir hat es heute schon schwer

Schon in der Romantik vermischten sich in der Gestalt des Vampirs Phantasien schwermütiger Dichter mit den Resten abergläubischer Volksängste und lokalem Sagentum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten Hollywood und Bella Lugosi den Glamour von weißer Schminke und schwarzem Cape. Hernach war es insbesondere die Romanautorin Anne Rice, welche durch ihre Vampirsagen in Gestalt des blonden Lestat die Verführungskünste im antiquierten Rüschenhemd unterstrich, während in Gothic Kreisen das Idealbild Vampir rebellische Lack und Lederblüten trieb. Insbesondere für die Erotikliteratur waren die Vorstellungen von penetrierendem Biss und düster-magischer Dominanz durchaus fruchtbar. In den 90er Jahren dann, fing das Rollenspiel "Vampire: the Masquerade" jenes Vampirbild ein und konserviert es noch immer. Heute, im 21. Jahrhundert wären die zahlreichen noch die überzeichnete, sonnenbrillentragende Actiongestalt eines Blade zu nennen, nebst pubertären Highschoolphantasien alla Buffy & Angel , welche Begannen neue Genrebereiche zu erschließen. Das Nachfolgerrollenspiel von White Wolf, "Vampire: Requiem", trug dieser Entwicklung Rechnung und versuchte sich wieder im Horrorgenre zu verankern, fort von romantisch seufzenden Jünglingen und Teeniegekreische hin zum erwachsenen und gruseligen Kampf um die menschliche Seele.
Nach all diesen Entwicklungen scheint der Vampir gerade in der modernen Belletristik einen neuen Nischenplatz gefunden zu haben, wo seine Interpretationen, ärgerlicherweise und in Ignoranz solch großartiger Vorlagen wie "Bram Stroker, Dracula", vor keinem Klischee halt machen. Die jungen Autoren verschlimmbessern den modernen Mythos, wo sie nur können. Angefangen bei der Unart plumper Wortspiele im Titel (z.B. "Stephanie Mayer: Bis(s) zum Morgengrauen") , über den Topos des "guten Vampirs, welcher nur von Tieren trinkt", hin zum unermüdlich beschworenen Konflikt zwischen Blutsaugern und Werwölfen. Deutlich auch ist die Ausrichtung auf eine weibliche Zielleserschaft, insbesondere in der Kombination "jugendliche, unscheinbare, weibliche Sterbliche trifft auf meterosexuelle, dunkle Ritterfigur". Es scheint eine Marktlücke gefunden; der Ausschlachtungsprozess ist im vollen Gange. Einzig der auf den ersten Blick ennervierendste neue Roman dieser Sparte (Mary Jane Davidson: Weiblich, ledig, untot") vermag, gelesen als selbstbewußte Parodie auf den wuchernden "Vampirkitsch", dann doch ein Schmunzeln zu entlocken.

Der Tag an dem ich einen wirklich schlechten Film sah

Wie konnte das passieren? "So finster die Nacht" hätte es sein sollen, der hochgelobte Vampirfilm aus Schweden, meinetwegen "die Buddenbrooks" als magenschwere Literaturverfilmung, oder aktueller denn je "Walz with Bashir"; doch der kleinste gemeinsame Nenner war wie so oft schnödes Hollywood mit dem Film "Der Tag an dem die Erde still stand", ein Remake des 1951 erschienenen Science-Fiction Klassikers von Robert Wise.
Doch was genau kann man von Poppcornkino verlangen? Sind es mitreißende Action, Bahnbrechende optische Effekte, Innovative Kamerafahrten? Machen wirs kurz, dieser Film hatte nichts davon. Dabei kann ich durchaus darüber hinwegsehen, dass das Minenspiel des Hauptdarstellers "Keanu Reeves" etwa auf dem Niveau einer Wachsfigur verblieb und die Macher nicht mit Nebelmaschinen und Logikfehlern sparten. Was den Film in meinen Augen zu einem Anwärter auf die goldene Himbeere macht, ist die miserable Übertragung der Vorlage in die heutige Zeit. Die in den Sechzigern durchaus gegenwärtigere Bedrohung durch "die Bombe" wird ersetzt durch esoterische Worthülsen eines "Scheidepunktes der Menschheit", welche mit viel Phantasie einen Bezug zur Klimaproblematik erahnen lassen. Der klassische Roboter verwandelt sich zeitgemäß auch brav dann in Nanoinsekten, die in Schwärmen alles Menschenwerk und die Menschheit gleich mit auffressen. Noch kunstloser jedoch gab sich die Auflösung des Films, bei der der maskierte Alien Reeves bzw. Klaatu der Versöhnung zwischen einer rebellischen Forscherin und ihrem den Film über eh nervigem Stiefsohn beiwohnt, dadurch eine angeblich "erhaltenswerte Seite" der Menschheit erkennt und die große Vernichtung kurzerhand abbläst. Hier spart Hollywood nicht an halbgaren Klischees samt halbherziger Umsetzung. Hand aufs Herz, selbst die schlechteste Liebesgeschichte hätte diesem Streifen noch gut getan.
Was bleibt sind allein die Fragen, die - heute so aktuell wie 1951 - kaum an Provokanz verloren haben: Wofür wäre die Menschheit in einer ähnlichen Situation erhaltenswert? Was könnten wir einer überlegenen Spezies oder einer anderen Richterinstanz vorweisen? Würden Beethoven, Shakespeare und Da Vinci genügen? Und schafften wir es doch noch, uns in nuklearem Supergau auszulöschen, wären eine amerikanische Flagge auf dem Mond, ein paar Satellitentrümmer in der Umlaufbahn und ein einsamer Forschungsrobotter auf dem Mars die einzigen traurigen Spuren des ach so fortschrittlichen Menschengeschlechts.