Mittwoch, 24. Juni 2009

Iran und die Demokratie

Hoffnung und Erwartung internationaler Medien stimmten noch vor einem Monat überein, dass Mir Hussein Mussawi Präsident der Republik Iran werden könne. Nach dem 12. Juni und den deutlichen 62,6 zu 33,8% aller Stimmen blieben nur Reaktionen gelähmter Ratlosigkeit. In Blogs und Foren traute man Mahmud Ahmadinedschad, den Ayatollahs, ja "den Iranern" im Allgemeinen, alles zu. Was weiß man nicht alles über das fundamentalistisch repressive System von CNN, über unterdrückte Weiblichkeit aus Persepolis, über eine Gesellschaft in Erstarrung aus Nasser Refaies "Sobhi Digar"? Doch dann begannen die Demonstrationen, zogen von den Straßen über Mattscheiben, Sendemasten und virtuelle sozialen Tummelplätze hinein in das Bewusstsein europäischer Öffentlichkeit. Ein neues Iranbild lässt sich erahnen, das Bild eines Landes im Kampf auf der Straße. Und der Europäer, der Amerikaner, der Weltbürger demonstriert mit, ist mit dem Herzen dabei, in Teheran, live dabei direkt neben Neda Soltani und hält buntbemalte Transparente trotzig den Wahlbetrügern, den Unterdrückern, entgegen (im Kopfkino und ganz ohne Riskiko, versteht sich). Ja, im Iran weht der Wind junger Demokratie mit Inhalten, Zielen, Werten und mit einem klaren "gegen". Erst Obama, dann der Iran, dann die ganze Welt? Gemach! Der Wächterrat wäre auch bei einem Machtwechsel unangetastet geblieben. Die Verflechtung von Politik und Religion, wird (eine blutige Revolution ausgenommen) auch in Zukunft den Iran bestimmen. Vielleicht ist das einzige, was sich ändern wird, die Fremdwahrnehmung des Landes. Doch auch dies ist in jedem Fall zu Begrüßen.

Sonntag, 7. Juni 2009

Stille

Gänsehaut erfasst mich, als ich Elie Wiesels Rede lese, gehalten vor Barack Obama in Buchenwald. Der Ort an dem der Vater starb. Vielleicht der Ort an dem unser aller Vater starb. Celan drängt sich wieder empor. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, das ist unbestritten. In klaren Worten redet Wiesel über Ihn, über Ungerechtigkeit, Krieg und Verantwortung. Seine Sprache berührt, spricht Gedanken aus, die mehr sind als die Gedanken eines einzelnen, so als klängen die Toten selbst in ihnen mit.
"Die Zeit ist doch gekommen. Es reicht doch. Es reicht. Wir wollen nicht mehr auf Friedhöfe gehen. Es reicht. Es gibt genug Waisen, es gibt genug Opfer."
Die gibt es. Kambodscha, Ruanda, Dafur, Bosnien. Und täglich kommen mehr dazu. Hoffnungsvoll aber mahnend endet die Rede vor dem neuen Präsidenten der Hoffnung. Doch die entscheidende Frage hat Wiesel schon in ihrer Mitte gestellt.
Wird die Welt je lernen?
Wird der Mensch je lernen? Ich denke nicht, dass Wiesel das denkt. Ich denke nicht, dass Obama das denkt und auch ich denke das nicht. Die unausgesprochene Antwort auf diese Frage wird zu einer bleibenden, unangenehmen Stille ...

Wahltag

Es ist irgendwann im Juni. Der Tag der Europawahl. Der Tag an dem die Demokratie sich demokratisch gibt. Der Tag an dem wir alle Deutschland sind und Europa sein sollten. Schon Wochen davor warben plumpe Fernsehspots und die obligatorische Zettelflut verhalten für die eigene, umso deutlicher gegen alle anderen Parteien. Medienpräsenz nach amerikanischem Vorbild sucht man vergebens und stößt allenfalls auf einen altbackenen "Wahl-O-Mat", der höchstens Hausfrauen ab vierzig vom Hocker reißt. Östlich des großen Teiches haben Begeisterung und Leidenschaft im Wahlkampf offenbar nichts verloren. So bleibt die Wahl bürokratischer Pflichtgang, den man pünktlich zwischen dörfischer Sonntagsmesse und Mittagstisch im Stammlokal erledigt. In weltmännischen Sonntagsanzug schwingt manch einer dann große Worte bevor er zugibt, doch gewählt zu haben, was man immer schon wählte und auch die Eltern noch wählten. Und dann wird Spargel gegessen und über Sport geredet und Bier getrunken mittags um eins.
Vielleicht sollte man dankbar sein, dass Bürger überhaupt den Weg in die Wahllokale und an die Wahlzettel finden. Über drei Seiten ist dieser diesmal lang und zeugt - insbesondere in Bereich der kleineren Parteien - von politischer Orientierungslosigkeit zwischen spirituellem Mumpitz und hippem Spaßprotest. Die Wahlbeteiligung wird eigene und noch deutlichere Worte sprechen. Die Parteien sehen das eher gelassen und werten die Prozentpunkte am Ende als Stimmungsbarometer für die kommende Bundestagswahl. Internationale Verantwortung beugt sich unter nationales Machtgehabe und am Ende scheint Europa nicht mehr als ein diplomatisches Spiel inmitten der Krise. Kopfschüttelnd mache ich mein eigenes Kreuz in der grauen Wahlkabine. Wie jeder an diesem Tag entscheide ich mich für ein Leid von vielen in Zeiten der Cholera.