Dienstag, 3. März 2009

Virtuelle Kritik

Das Internet: unendliche soziale weiten. Wir schreiben das Jahr 2009 und ganz Deutschland chattet, bloggt, facebooked und twittert, was die Anglizismen hergeben. Verlockend ist dabei insbesondere der Anschein des letzten Freiraums in der weitgehend anonymen Virtualität und das stumme Versprechen von irgendwie gearteter Wichtigkeit in 'social communities'. Man ist jetzt nicht mehr nur 'Surfer', man ist jetzt 'Profil'! Schließlich will man den Beweis antreten, dass Stanley Milgrams "small world phenomenon" recht behält und jeder jeden um sechs Ecken kennt. So findet sich soziale Bestätigung vor allem in digitalen Nischen wie Fanforen oder über wenig aussagekräftige Freundeslisten. Wird das Wort Freundschaft dadurch auf Dauer eigentlich sinnentleert?
Scheint das Web 2.0 als neue Geldgrube der IT-Branche auch gescheitert, erfreut es sich bei Usern stetig wachsender Beliebtheit. Im vagen Raum der Öffentlichkeit hat sicherlich der Wahlsieg des demokratischen Kandidaten Barack Obama in den vereinigten Staaten das letzte Eis gebrochen. Dieser hatte mit seiner Website (www.barackobama.com) erfolgreich Stimmen- und Spendenfang betrieben und sich den Beinamen 'digitaler Präsident' redlich verdient. Doch es mehren sich auch die Generationen, welche den Teddy im Kinderzimmer durch Videogames ersetzt haben und Computer so selbstverständlich bedienen wie Türen oder Toaster. Längst urbane Legenden geworden sind die Zahlen der Beziehungen aus Internetbekanntschaften oder der Prozentsatz der Jugendlichen, welche nicht glauben ohne virtuelle Medien leben zu können. Das Schlagwort 'Medienkompetenz' geistert durch das deutsche Schulsystem während die ältere Lehrergeneration noch immer treu zu Kreide und Schwämmen steht. Auch an deutschen Universitäten kommt nichts als betretene Stille auf, wenn der hochgeschätzte Professor angesichts eines "Antivir-Update" seine Präsentation mit Sorgenfalten auf der Stirn unterbricht und seine Ratlosigkeit ans Publikum weitergibt: "Was soll ich denn jetzt drücken?".
Doch die nächste digitale Evolutionsstufe wartet schon auf uns. Der Autor Gerd Leonhard entwirft in seinem Beitrag "MySpace-City" auf zeit.de eine Vision davon, in der virtuelle Netzwerke realörtliche Ballungszentren ersetzen und die Stadt als solches nur noch Life-Style-Wert besitzt. Die Gesellschaft des Menschen erlebt einen Strukturellen Wandel, wie seit dem Mittelalter nicht mehr.
Einen Vorgeschmack erleben wir schon jetzt: Nutzgeräte werden zu kommunizierenden Einheiten, das Handy zur Allzweckelektronik mit Funktionen von Videokamera bis Spielekonsole. Flächendeckender WLAN-Zugang ist eine reine Frage der Zeit. Der Philosoph Peter Sloterdijk schreibt in seinem Werk "Sphären II - Globen" gar von einer "Raumkrise". Doch nur ein Narr würde glauben, es gäbe zur fortschreitenden Digitalisierung und Technisierung der Welt eine praktikable Alternative. Eine kritische Betrachtung - als Wahrnehmungshaltung verstanden - tut jedoch in jeder Hinsicht Not und sei es nur um nicht auf kurzlebige Trends reinzufallen. Dem Ästheten bleibt zu hoffen, dass die Miniaturisierung eines Tages zur Unsichtbarkeit der ganzen futuristischen Leitungen, Kabel und Antennen führt und zumindest den Augen Erleichterung verschafft. Bis dahin trösten mich die Gedanken daran, dass man auch in neuen Medien Beständigkeit finden kann: Heute wie vor 10 Jahren dient das Internet hauptsächlich Sex und Kommerz. Immerhin handelt es sich dabei um die beiden Grundbedürfnisse des modernen Menschen. Das ist doch was!

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