Freitag, 19. Dezember 2008

Katastrophengedanken

Wie weihnachtlich doch alles ist: so viele Geschenke, soviel Schein. Heute aber wurde es in Bonn wenig Weihnachtlich, als plötzlich Innenstadtweit die Bankautomaten ausfielen. "Systemfehler" prangte auf den Monitoren, vor denen sich kleine Mengen hochgestressten Weihnachtsspätshopper zusammenfanden um sich gegenseitig der Unverschämtheit dieses Systemfehlers zu versichern. "Man muss doch noch Geschenke kaufen." "Man muss doch Bargeld in der Tasche haben." "Ist das etwa die Finanzkriese?" Wahrscheinlich ist dies nur auf einen Fehler in der Software zurückzuführen, spielte das System für einige wenige Augenblicke einfach nicht mit; vielleicht der Großandrang.
Doch spielen wir das beliebte Spiel des Konjunktivs. Was wäre denn, wenn das System 'crashte' (abgesehen von dem furchtbaren Anglizismus, natürlich)? Wie schnell würde die Infrastruktur zusammenbrechen? Wie überfordert wäre die Ordnungsmacht, wie gierig und panisch der Einzelne? Würden sich Weihnachtseinkäufer binnen Minuten in plündernde Fackelzüge verwandeln, oder würde die Passivität der Bevölkerung andauern und sich erst nach Tagen der Verzweiflung der Handlungsfähigkeit weichen? Eigentlich wäre dies ein schönes Szenario für ein Buch. Ein junger Soldat ist der Erste, der an einem Schalter kein Geld mehr ziehen kann. Die Medien melden überfordert Unstimmiges und Gegenteiliges. Eine ältere Dame verfolgt von ihrem Fenster aus mit dem Opernglas die immer unruhiger werdenden Menschenmassen auf dem Marktplatz. Die kleine Lilly verliert ihren Vater unter den Tritten des sich bildenden Mobs und findet Zuflucht in der verlassenen Stadtkirche. Zwei Professoren debattieren in einem Straßencafé über Marx und Deeskalation und sie sind die ersten Opfer. Gewalt und Feuer folgen. Ein Literat ist auf der Suche nach Batterien für sein Diktiergerät und wittert das Buch seines Lebens. Zwei Bankangestellte versuchen zu fliehen, als sie Stimmen im Treppenhaus hören. Der ältere versucht die Menge zu beschwichtigen und wird gelüncht, der jüngere schwingt sich auf zum anarchistischen Propheten und beginnt im Wahn Stimmen zu hören. Ein junger Punk trifft auf der Flucht seine Jugendliebe und verschanzt sich in einem Sexkino. Gierige Plünderungen werden zu frustrierter Gewalt und Lust an der Zerstörung, die Polizei wechselt die Seiten. Ein alter General gibt den Feuerbefehl für das Militär. Aus Rauch und Trümmern erhebt sich am nächsten Tag eine Stadtdiktatur. Als neue Währung werden Zigaretten ausgerufen; der Umtauschkurs in die Unze Gold ist 2000:1.

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