Dienstag, 15. September 2009

Die eigene Zeit

Manchmal erscheint es unendlich langsam, wie die Zeit dahin quillt. Tage wiederholen sich, Stunden scheinen träge nie an einem vorbei ziehen zu wollen und in einer Handvoll Minuten glaubt man ein halbes Leben verlebt zu haben. Dann gibt es Tage in denen die Zeit einem durch die Finger rinnt unaufhaltsam wie feinstkörniger Sand. Kaum ist man aufgestanden, legt man sich schon wieder nieder und hat doch nicht mehr getan als an anderen Tagen in wenigen Augenblicken. War ich vorgestern nicht erst fünfzehn und trank einen Tequila Sunrise, abends auf den Kanaren, während ich an das Mädchen mit dem grauen T-Shirt dachte, das am Pool lag und las? War ich gestern nicht erst im Blumenladen in meiner Heimat, ungeduldig wartend auf den Strauß für den Abschlussball und in Gedanken beim Lächeln, das der Dank dafür sein würde? Zeit ist subjektiv; doch scheint mir zunehmend als unsichtbarer hämischer Feind, niemals großzügig genug und niemals schnell genug vorbei zu sein. Wie (vielleicht) Marcel sich wohl gefühlt haben mag, als er am Ende seines fiktiven Lebens zum Schreiben in Retrospektive fand? Was anderes ist selbst dieses Blog als eine Hilfe zur Einteilung meiner erlebten Zeit in Momentaufnahmen aus Sprache vor einem gedachten Publikum. Einzig das tägliche Rauschen des Radios und das Geplapper der Nachrichten gibt einen zwingenden Takt vor: Finanzkriese, Bundestagswahl, Januar, September, gestern, heute. An den kleinen Schrecken und großen Ungerechtigkeiten erahne ich das Drehen der Welt, das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit.

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