Alle Jahre wieder ist es soweit. Die Karten werden neu gemischt und alle Sünden vergeben. plebs dixit, das Volk hat gesprochen - Zeit für ein kurzes Fazit. Erst mal die blanken Zahlen: CDU 33.9%, SPD 23.0%, FDP 14.6%, Linke 11.9%, 10.7% - rekordverdächtig, insbesondere der Tiefstand von CDU und SPD, den ehemals großen Volksparteien. Regelrecht abgestraft wurden die Sozialdemokraten mit 11,3 Prozentpunkten Verlust zur Wahl 2005. Historisch ist die Wahl in Bezug auf die demokratische Struktur zu nennen, da sich mit der Linken eine fünfte Partei etabliert hat. Der Sieger steht fest, ist Gelb und strahlte mit triumphalem Lächeln in der obligatorischen Elefantenrunde alle anderen an die Wand. Warum die Deutschen in der systemgeschuldeten Finanzkriese ausgerechnet die Liberalen gestärkt haben, bleibt vielleicht das Rätsel des Abends. Katastrophal jedoch ist eine andere Zahl, nämlich die der Nichtwähler, satte 27,5%. Über ein Viertel der Bürger wurden vom matten Wahlkampf nicht erreicht oder zogen es vor der Demokratie ihre Stimme zu enthalten. So ist das Ergebnis der Wahl auch zu lesen als Vertrauensverlust aller Parteien (pikant in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet Guido Westerwelle noch am Abend auf journalistische Nachfrage bekanntgab kämpferisch formulierte Wahlversprechen in Koalitionsgesprächen zu "verhandeln"). Ein eher geschmackloser Werbespot auf Kabel 1 gab der Wahlverdrossenheit in den letzten Tagen sogar einen eigenen Slogan: "Nichts für sie dabei?" Man mag es nun glauben.
Sonntag, 27. September 2009
Samstag, 19. September 2009
Vermeintlich verlorene Perspektiven
Erneut ein Amoklauf an deutschen Schulen. Der Name ist austauschbar geworden. Ich spreche mit meiner Großmutter darüber. Wie zu erwarten in ihrer Generation vermutet sie sogleich das 'Schlimmste': ["Wahrscheinlich aus dem 'Milieu' - Drogen müssen im Spiel gewesen sein - Jugendkriminelle - "sicher Ausländer"!].
Mitnichten. Wieder beweist sich, dass die jugendlichen Amokläufer meist in bürgerlichem Milieu, fern der konkreten Existenzbedrohung verwurzelt sind. "Unauffällig und ruhig" ist das neue Täterbild. Gruselig. Mein Freundeskreis ist voll davon. ["Dann sind die Computerspiele Schuld! Da sehen sie doch die Gewalt! Kino! Oder diese Popmusik!"].
Es ist schon etwas dran an der zunehmenden Darstellung von Gewalt in Medien. Der Schockfaktor zieht natürlich immer noch Käuferschichten an und Lars von Trier darf sich austoben ... und es ist Kunst; welch Wunder. ["Das kommt doch alles aus Amerika! Da fing das doch an."]
Tatsächlich muss sich die detailreiche Berichterstattung über Littleton - um den Schockzustand einer Gesellschaft zu bewältigen - in Grenzen vorwerfen lassen die Option solcher Gewalt in Jugendliche Köpfe gespeist zu haben. Schulmassakker: ein kulturelles Massenphänomen - wie die Hysterie? Die Erklärung scheint auf der Hand zu liegen. Doch es bleibt letztlich die Ratlosigkeit des Einzelnen. Sie findet ihre Entsprechung im Verhalten der Medien in gutrecherchierter Deutungslosigkeit zu verbleiben. ["Ja aber was haben denn die Kinder dann? Sie haben doch alles. Warum ticken sie denn so aus?"]
Das Problem liegt nicht in der tatsächlichen Lebenssituation, sondern in der Wahrnehmung derselben. In einem Land, das juristisch den Abschreckungseffekt leugnet und politisch sich der naturgemäß sozial-ungerechten Wirtschafts- und Bankenwelt anbiedert, während es sie formell und öffentlich geißelt, müssen die Werte für "Richtig" und "Falsch" durcheinandergeraten. Die Täter entscheiden sich bewusst für ein "Gegen", gegen ihre private Umwelt aber auch gegen die soziale Allgemeinheit. Ihre Handlungen rechtfertigen sie oft mit dem Willen, "unerträgliche Ungerechtigkeiten" zu bestrafen - als Selbstjustiz, als schnöde Rache. In "Kinder brauchen Märchen" von Bruno Bettelheim heißt es: "Wie groß die (...) Verzweiflung des Kindes in Augenblicken völlig hoffnungsloser Niederlage ist, erkennt man aus seinen Wutausbrüchen; sie sind der sichtbare Ausdruck seiner Überzeugung, es könne nichts unternehmen um seine 'unerträglichen' Lebensverhältnisse zu verbessern." Die Welt, die Umwelt und auch jene Parteien, die in einer Woche zur Wahl stehen erreichen sie nicht mehr. Auch mehr Schulpsychologen werden daran nichts ändern. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Beendet wird sie erst mit einem großen Umdenken werden.
Mitnichten. Wieder beweist sich, dass die jugendlichen Amokläufer meist in bürgerlichem Milieu, fern der konkreten Existenzbedrohung verwurzelt sind. "Unauffällig und ruhig" ist das neue Täterbild. Gruselig. Mein Freundeskreis ist voll davon. ["Dann sind die Computerspiele Schuld! Da sehen sie doch die Gewalt! Kino! Oder diese Popmusik!"].
Es ist schon etwas dran an der zunehmenden Darstellung von Gewalt in Medien. Der Schockfaktor zieht natürlich immer noch Käuferschichten an und Lars von Trier darf sich austoben ... und es ist Kunst; welch Wunder. ["Das kommt doch alles aus Amerika! Da fing das doch an."]
Tatsächlich muss sich die detailreiche Berichterstattung über Littleton - um den Schockzustand einer Gesellschaft zu bewältigen - in Grenzen vorwerfen lassen die Option solcher Gewalt in Jugendliche Köpfe gespeist zu haben. Schulmassakker: ein kulturelles Massenphänomen - wie die Hysterie? Die Erklärung scheint auf der Hand zu liegen. Doch es bleibt letztlich die Ratlosigkeit des Einzelnen. Sie findet ihre Entsprechung im Verhalten der Medien in gutrecherchierter Deutungslosigkeit zu verbleiben. ["Ja aber was haben denn die Kinder dann? Sie haben doch alles. Warum ticken sie denn so aus?"]
Das Problem liegt nicht in der tatsächlichen Lebenssituation, sondern in der Wahrnehmung derselben. In einem Land, das juristisch den Abschreckungseffekt leugnet und politisch sich der naturgemäß sozial-ungerechten Wirtschafts- und Bankenwelt anbiedert, während es sie formell und öffentlich geißelt, müssen die Werte für "Richtig" und "Falsch" durcheinandergeraten. Die Täter entscheiden sich bewusst für ein "Gegen", gegen ihre private Umwelt aber auch gegen die soziale Allgemeinheit. Ihre Handlungen rechtfertigen sie oft mit dem Willen, "unerträgliche Ungerechtigkeiten" zu bestrafen - als Selbstjustiz, als schnöde Rache. In "Kinder brauchen Märchen" von Bruno Bettelheim heißt es: "Wie groß die (...) Verzweiflung des Kindes in Augenblicken völlig hoffnungsloser Niederlage ist, erkennt man aus seinen Wutausbrüchen; sie sind der sichtbare Ausdruck seiner Überzeugung, es könne nichts unternehmen um seine 'unerträglichen' Lebensverhältnisse zu verbessern." Die Welt, die Umwelt und auch jene Parteien, die in einer Woche zur Wahl stehen erreichen sie nicht mehr. Auch mehr Schulpsychologen werden daran nichts ändern. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Beendet wird sie erst mit einem großen Umdenken werden.
Dienstag, 15. September 2009
Die eigene Zeit
Manchmal erscheint es unendlich langsam, wie die Zeit dahin quillt. Tage wiederholen sich, Stunden scheinen träge nie an einem vorbei ziehen zu wollen und in einer Handvoll Minuten glaubt man ein halbes Leben verlebt zu haben. Dann gibt es Tage in denen die Zeit einem durch die Finger rinnt unaufhaltsam wie feinstkörniger Sand. Kaum ist man aufgestanden, legt man sich schon wieder nieder und hat doch nicht mehr getan als an anderen Tagen in wenigen Augenblicken. War ich vorgestern nicht erst fünfzehn und trank einen Tequila Sunrise, abends auf den Kanaren, während ich an das Mädchen mit dem grauen T-Shirt dachte, das am Pool lag und las? War ich gestern nicht erst im Blumenladen in meiner Heimat, ungeduldig wartend auf den Strauß für den Abschlussball und in Gedanken beim Lächeln, das der Dank dafür sein würde? Zeit ist subjektiv; doch scheint mir zunehmend als unsichtbarer hämischer Feind, niemals großzügig genug und niemals schnell genug vorbei zu sein. Wie (vielleicht) Marcel sich wohl gefühlt haben mag, als er am Ende seines fiktiven Lebens zum Schreiben in Retrospektive fand? Was anderes ist selbst dieses Blog als eine Hilfe zur Einteilung meiner erlebten Zeit in Momentaufnahmen aus Sprache vor einem gedachten Publikum. Einzig das tägliche Rauschen des Radios und das Geplapper der Nachrichten gibt einen zwingenden Takt vor: Finanzkriese, Bundestagswahl, Januar, September, gestern, heute. An den kleinen Schrecken und großen Ungerechtigkeiten erahne ich das Drehen der Welt, das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit.
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